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Beethoven hören, statt hören wie Beethoven

istockphoto / Aja Koska

Bleibt Schwerhörigkeit unbehandelt, hat sie oftmals gravierende Folgen für das Sozialleben, die psychische Gesundheit und das allgemeine Wohlergehen. 

Nicht „feindseelig, störrisch oder misantropisch“, sei er gewesen, sondern durch seine Schwerhörigkeit „zurückgestoßen“, schreibt Beethoven in dem als Heiligenstädter Testament bekannten Brief an seine beiden Brüder: „Drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt wehe thut mir mein Unglück.“ Während sich die Möglichkeiten der Therapie von Schwerhörigkeit maßgeblich verbessert haben, erleben aber nach wie vor viele Menschen den Verlauf der Erkrankung, so wie der Komponist vor 200 Jahren.

Nur wer hört, findet Gehör

Je weiter der schleichende Gehörverlust fortschreitet, desto mehr ziehen sich Betroffene zurück: Während sich der Fernseher lauter drehen lässt, ist das in Gesprächen nicht möglich. Kommunikation wird zur ständigen Quelle von Überforderung und damit Frustration. Die erkrankte Person versteht immer weniger und das Gegenüber fühlt sich immer weniger verstanden. Kommunikation bricht so schrittweise zusammen. Oft werden bereits im Vorfeld soziale Situationen gemieden. Die Furcht davor, als behindert zu erscheinen, treibt Betroffene dazu, ihre Erkrankung zu verstecken. Die sozialen Kontakte nehmen immer weiter ab. Für Betroffene wird die Welt immer stiller und damit auch zunehmend einsamer. Wer im fortgeschrittenen Alter schlechter hört, weist darum auch eher depressive Symptome auf, wie eine Studie der Columbia University zeigt. Je 20 Dezibel Hörverlust erhöht sich das Erkrankungsrisiko um das eineinhalbfache.

Andere Studien zeigen, dass der Hörverlust auch das Entstehen einer Demenz begünstigt, wenngleich die genauen Mechanismen dahinter noch unbekannt sind. Mitverantwortlich dafür könnte der soziale Rückzug und damit einhergehend mangelnder Austausch mit anderen Menschen sein. Ein weiterer Grund könnte in der verminderten Beanspruchung des Gehirns liegen. Weniger Sinneseindrücke bedeuten weniger Gehirnaktivität und damit weniger Training. Der Hörverlust wird zudem mit einem Umbau in den Strukturen des Gehirns in Verbindung gebracht, der sich negativ auf Kurz- und Langzeitgedächtnis auswirken soll.

Schwerhörigkeit ist kein Einzelschicksal

Liegt keine Erkrankung wie ein plötzlicher Hörsturz vor, stellt sich der Hörverlust schleichend ein. Die hohen Frequenzen geben dem, was wir hören, Kontur. Im Alter nimmt aber physiologisch bedingt zunächst die Hörfähigkeit in hohen Frequenzbereichen ab. Damit wird es schwieriger sich im Raum zu orientieren und Geräusche zu lokalisieren – hörgeschädigte Menschen sind darum schreckhafter und gestresster, wenn sie sich im öffentlichen Raum fortbewegen. Aber auch der Musik zu folgen und Sprache zu verstehen, wird immer mehr zum Problem.

Das passiert oft ohne überhaupt und als leidvoll wahrgenommen zu werden. Lange Zeit kann das Gehirn die fehlenden Informationen kompensieren. Die HNO-Fachärztin Berit Schneider-Stickler erklärt das folgendermaßen: „Wenn Sie nach und nach Pixel weglassen, können Sie die Schrift relativ lange noch gut lesen. Denn Ihr Gehirn erfasst den inhaltlichen Sinn des Textes und kompensiert die fehlenden Pixel. Bis dann plötzlich ein paar Pixel zu viel fehlen und die Schriftzüge keinen Sinn mehr ergeben.“ Bis Betroffene eine/n HNO-ÄrztIn aufsuchen, vergehen darum im Durchschnitt rund sieben Jahre. Rund die Hälfte aller Männer über 65 und etwa ein Viertel aller Frauen derselben Altersgruppe sind davon betroffen. Während man mit der Erkrankung also nicht allein ist, fühlt es sich doch für viele Menschen so an.

Auf den eigenen Körper hören

Menschen mit Hörminderung, die ein Hörgerät verwenden, sind darum deutlich leistungsfähiger als jene, die das nicht tun. Gerade, wenn eine Schwerhörigkeit über einen längeren Zeitraum vorliegt, muss das Gehirn wieder neu lernen, Klänge und Geräusche zu erkennen und zu deuten – entsprechende Hörtrainings und Hörtaktiken helfen dabei. Um das zu vermeiden, sollten gesunde Erwachsene ab dem 40. Lebensjahr einmal im Jahr eine/n HNO-ÄrztIn oder eine/n HörakustikerIn aufsuchen. Hörtests sind rasch, unkompliziert und natürlich schmerzfrei. Mit Hilfe der sogenannten Sprachaudiometrie ist es möglich, das Ausmaß einer Hörminderung und deren Bedeutung für das Kommunikationsverhalten im Alltag festzustellen.

Hörverlust bedroht den Selbstwert

Wichtig ist, diesen entsprechend zu kommunizieren und ihn nicht zu verstecken. Für Betroffene ist das aber nicht immer einfach, da der Hörverlust als Bedrohung des Selbstwertgefühls wahrgenommen wird. Die Rücksichtnahme des sozialen Umfelds kann sowohl als willkommene Unterstützung, aber auch als Kränkung erlebt werden. Fakt ist aber, dass sich Schwerhörigkeit nachhaltig eindeutig negativ auf soziale Kontakte und Lebensqualität auswirkt, wenn sie unbehandelt bleibt. Moderne Hörgeräte schaffen hier wirkungsvoll Abhilfe und werden individuell an Ohr, Wünsche und Bedürfnisse der KundInnen angepasst. Anders als zu Beethovens Zeit sind Schwerhörigkeit und ihre Folgeerscheinungen heute kein unausweichliches Schicksal mehr.

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