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Volkskrankheiten

Hohe Lebensqualität und das trotz Inkontinenz

Foto: monkeybusinessimages via iStock

Dr. Michael Rutkowski

Vizepräsident der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ)

Inkontinenz ist schambehaftet, was Patient(inn)en davon abhält, äztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch nur diese verspricht eine Linderung des Leidensdrucks, erklärt Dr. Michael Rutkowski.

Welche Formen der Inkontinenz gibt es, und wie sind Patienten mit neurogenen Blasenentleerungsstörungen davon betroffen?

Es gibt zwei grundsätzliche Formen der Inkontinenz: Belastungsinkontinenz und Dranginkontinenz. Bei der Belastungsinkontinenz verlieren Patienten Harn bei körperlicher Anstrengung: beim Sport, aber auch bei Lachen und Husten. Bei der Dranginkontinenz kommt es zu einer rapiden Druckerhöhung, weil der Blasenmuskel überaktiv ist und sich zu früh zusammenzieht. Der an sich intakte Schließmuskel kann dann den Harn nicht mehr halten. Die neurogene Blasenfunktionsstörung ist komplexer: Es kommt hier einerseits zu einer Entleerungsstörung, weil der Schließmuskel nicht öffnet, andererseits verlieren die Patienten Harn wegen einer Überaktivität des Blasenmuskels wie bei der Dranginkontinenz. Sie tritt bei Patienten mit einer Querschnittslähmung, aber auch bei 80 Prozent aller Multiple-Sklerose-Erkrankungen auf. Sie kommt auch bei anderen neurologischen Erkrankungen wie Demenz oder auch bei Schlaganfällen vor.

Wie wird eine solche Störung behandelt?

Zunächst wird mittels einer Blasenfunktionsmessung untersucht, was mit der Blase beim Speichern des Harns und beim Versuch der Entleerung passiert. Das Ziel der Behandlung ist zum einen, die Blase des Patienten ruhigzustellen: Manchmal ist es ausreichend, wenn man Medikamente gibt, die die Blase dämpfen, in anderen Fällen ist die Injektion von Botulinumtoxin in den Blasenmuskel notwendig. Ziel ist, dass sich die Patienten wieder sicher draußen bewegen können, ohne Harn zu verlieren. Gleichzeitig muss auch eine vollkommene und drucklose Entleerung der Blase sichergestellt werden. Das ist wichtig, um die Nieren vor Druck durch einen Rückstau des Urins und die Blase vor Infektionen zu schützen. In den meisten Fällen funktioniert das durch die Patienten selbst mittels Selbstkatheterismus oder über eine Ableitung durch einen Bauchdeckenkatheter.

Wie unterscheiden sich die beiden Typen?

Der suprapubische Katheter leitet den Urin unter Umgehung der Harnröhre über die Bauchdecke ab. Die intermittierenden Selbstkatheter werden vom Patienten in die Harnröhre eingeführt und nach Entleerung der Blase herausgezogen und weggeworfen. Für manche Patienten ist das am Anfang eine Überwindung. Das kann man vielleicht mit dem Einlegen von Kontaktlinsen vergleichen. Das ist anfänglich unangenehm, man gewöhnt sich aber schnell daran. In den urologischen Ambulanzen gibt es geschulte Pflegekräfte, die dem Patienten beim Erlernen des Katheterisierens zur Seite stehen und die Patienten auch bei der Wahl eines passenden Modells beraten. Es gibt mittlerweile eine breite Palette wirklich guter Produkte. Wichtig ist nur, dass die Katheter steril verpackt sind und bereits beschichtet sind. Ein zusätzliches Hantieren mit Gleitgel ist damit unnötig.

Was raten Sie Menschen, die Harn verlieren oder unter ständigem Harndrang leiden?

Lassen Sie sich helfen und suchen Sie eine Spezialambulanz auf, um abzuklären, was als Ursache tatsächlich vorliegt. Es besteht nicht nur Gefahr für die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit. Wenn das unbehandelt bleibt oder Patienten keine Lösung finden, wie sie sich sicher draußen bewegen können, dann drohen sie zu vereinsamen. Mit der richtigen Hilfe können Patienten wieder aktiv am öffentlichen Leben teilnehmen.

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