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Diabetes ist keine Lebensstilerkrankung

© Foto: Wild + Team

Übergewicht heißt nicht gleich Diabetes – die Ärztin und Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft Dr. Susanne Kaser erklärt, warum das zu falschen Schlüssen führt.

Assoz. Prof.in PD Dr.in Susanne Kaser

Ärztin und Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft

Was sehen Sie aktuell als größte Herausforderungen an, wenn wir über das Thema Diabetes sprechen?

Die zentrale Herausforderung sehe ich derzeit in der enormen Prävalenz der Diabetes-Erkrankungen. Wir gehen in Österreich aktuell von etwa 800.000 Betroffenen aus, wobei 90 Prozent davon Typ-2-DiabetikerInnen und 10 Prozent Typ-1-DiabetikerInnen sind. Wenn wir der Weltgesundheitsorganisation Glauben schenken, dann wird diese Zahl in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen. Außerdem hat sich die Diabetes-Therapie des Typ 2 in den letzten Jahren stark hin zu einer personalisierten Therapie verändert. Allerdings haben wir noch nicht die entsprechenden Versorgungsstrukturen geschaffen – weder was die Quantität noch die Qualität betrifft.

Wie bewerten Sie die derzeitige Situation hinsichtlich der Diabetes-Prävention?

Auch hier sehe ich aktuell eine große Problematik – Stichwort Stigmatisierung. Das Vererbungsrisiko des Typ-2-Diabetes ist sehr groß. Ich kann nun dieses Risiko durch Lebensstil, Ernährung sowie Übergewicht erhöhen bzw. auch senken. Leider ist in den letzten Jahren der Eindruck entstanden, dass Diabetes mit Übergewicht gleichgesetzt wird. Dadurch werden PatientInnen stigmatisiert. Oftmals wird DiabetikerInnen vorgeworfen, sie seien ja selbst schuld an ihrer Erkrankung. Und ja, natürlich ist Übergewicht ein Risikofaktor für Diabetes und wir müssen einen entsprechenden Lebensstil in die begleitende Therapie miteinbeziehen. Aber Diabetes ist keine Lebensstilerkrankung!

Inwiefern haben wir dazu vielleicht falsche Bilder im Kopf?

Wir haben sehr viel Wert auf die entsprechende Prävention gelegt – das ist grundsätzlich gut. Aber Übergewicht mit Diabetes gleichzusetzen ist schlichtweg falsch. Wir kennen übergewichtige Menschen, die keinen Diabetes haben und normalgewichtige Menschen mit Diabetes.

Was können diese voreiligen Schlüsse bzw. diese Stigmatisierungen zur Folge haben?

Das kann eine Verharmlosung zur Folge haben, weil Diabetes nun mal keine Wohlstandserkrankung ist. Diabetes ist überhaupt keine harmlose Erkrankung. Alle 50 Minuten stirbt in Österreich ein Mensch an den Folgen von Diabetes! Menschen mit Diabetes haben ein massives Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Herzschwächen. Diabetes ist auch der häufigste Grund für Nierenersatztherapien sowie Beinamputationen und nach wie vor erblinden DiabetikerInnen. Wir müssen einerseits mit dieser Verharmlosung und andererseits aber auch mit dem schuldzuweisenden Fingerzeigen aufhören.

Welchen Einfluss hat das alles auch auf das Diabetes-Management?

Wenn man die Erkrankung verharmlost, nimmt man auch die Therapie nicht so ernst. Diabetes ist aber sehr wohl eine Erkrankung, bei der ich selbst viel beitragen kann und auch muss. Das ist eine große Chance und gleichzeitige eine enorme Herausforderung für den Alltag.

Was können PatientInnen nun selbst aktiv tun?

Die Modifikation des Lebensstils ist ein integraler Bestandteil der Therapie. Wir verstehen darunter, dass man zum Beispiel regelmäßig in Bewegung kommt. Man muss nicht gleich SpitzensportlerIn werden, aber jeder Schritt zählt. Hinsichtlich der Ernährung empfehlen wir eine mediterrane Ernährung, das heißt ballaststoffreiche Lebensmittel, wenig tierische Fette und möglichst wenig gesättigte Fettsäuren. Das gilt übrigens nicht nur für Diabetes, sondern auch für Herz-Kreislauferkrankungen. Wenn PatientInnen übergewichtet sind, spielt die Gewichtsreduktion eine Rolle, weil die Medikamente dann besser wirken können.

Hier schwingt im Volksmund gern auch der Cholesterinwert mit. Welchen Zusammenhang gibt es mit Diabetes?

Der Cholesterinwert ist grundsätzlich ein großer Risikofaktor für Gefäßerkrankungen. Und DiabetikerInnen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen. Daher versuchen wir möglichst alle anderen Risikofaktoren auszuschließen bzw. zu minimieren. Dazu gehört auch das LDL-Cholesterin. Wir streben bei DiabetikerInnen niedrigere LDL-Werte an als bei Menschen ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren. Es gibt keinen LDL-Wert, der für die Gesamtbevölkerung gilt. Für DiabetikerInnen zielen wir auf einen Wert unter 70 Milligramm pro Deziliter ab. Wenn bereits Gefäßerkrankungen vorliegen, sollte dieser Wert noch niedriger liegen.

Das heißt ganz grundsätzlich müssen die Diabetes-Erkrankungen von PatientIn zu PatientIn unterschiedlich betrachtet werden.

Absolut! Wir sehen hier ein breites Spektrum, angefangen von Typ-2-DiabetikerInnen, bei denen gerade erst die Diagnose gestellt wurde und keine Risikofaktoren vorliegen bis hin zu PatientInnen, die seit über 20 Jahren mit Diabetes leben. Außerdem müssen wir mögliche Folgeerkrankungen mitbedenken, wie eingeschränkte Nierenfunktionen, Gefäßerkrankungen oder auch Durchblutungsstörungen in den Beinen, was wiederum die Bewegung schwieriger macht. Das heißt, wir müssen hier immer ganz genau abstimmen.

Welche Bedeutung hat das soziale Umfeld?

Das soziale Umfeld ist ganz wichtig, gerade wenn man den Lebensstil betrachtet. Die Lebensstilmodifikationen können nur gemeinsam im sozialen Umfeld funktionieren. Denken Sie beispielweise an Ernährung oder Bewegung – alles allein durchzuziehen ist viel schwieriger als gemeinsam. Daher ist auch beispielsweise die ganze Familie gefragt, die PatientInnen zu unterstützen. Und obendrein tut man sich dabei auch selbst etwas Gutes. Wir sehen das aktuell auch beim Thema Rauchen. Glücklicherweise ist nun das Gesetz zum Verbot in der Gastronomie durch. Das ist ein Anstoß, dass viele Menschen nun endlich aufhören zu rauchen. Wenn man mit einer Lebensstiländerung beginnt, kann man auch viele andere mitreißen.

Wenn Sie an 2030 denken: Wie sollte das Leben mit Diabetes in Österreich in zehn Jahren aussehen?

Wir wünschen uns, dass es keine zunehmenden Raten für Diabetes-Erkrankungen mehr geben wird. Die Steigerung der Prävalenz muss gestoppt werden. Vielleicht schaffen wir es sogar, sinkende Raten zu erzielen. Wir wünschen uns aber auch, dass mehr Ressourcen in die Prävention gesetzt werden. In Bezug auf Bewegung und Ernährung müssen wir schon bei den Kindern anfangen. Außerdem brauchen wir bessere und umfangreichere Versorgungsstrukturen, damit die komplexen, auf die PatientInnen abgestimmten Therapien gut durchführbar sind. Das ist zumindest aktuell noch nicht ausreichend der Fall. Und wir wünschen uns, dass genügend Aufklärungswissen vorhanden ist, sodass 2030 niemand mehr Diabetes mit einer Lebensstilerkrankung gleichsetzt.


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