Selbsthilfe-Gruppentreffen, bei denen sich gegenseitig bemitleidet wird, sind nicht mehr en vogue. Schon der Begriff Selbsthilfe an sich hat ein uncooles, verstaubtes Image, mit dem sich vor allem junge Menschen mit Diabetes nicht gern identifizieren möchten.
„Empowerment“ ist das neue Schlagwort! Oder anders ausgedrückt: Selbsthilfe 2.0.
„Für
uns nichts Neues“, sagt Frau Anna Mayer, Bundesvorsitzende der
Österreichischen Diabetikervereinigung, Österreichs größter und ältester
gemeinnütziger Interessenvertretung für Menschen mit Diabetes.
Selbsthilfe leistet gerade in Zeiten vieler Umstrukturierungen im
Gesundheitssystem weit mehr als „im Kreis sitzen und jammern“:
„Auch beim Empowerment geht es um nichts anderes, als um die Hilfe zur Selbsthilfe. Darum, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, trotz und mit dem Diabetes. Ich selbst lebe seit 40 Jahren mit Diabetes Typ 1. Früher galt es, das Leben nach der Diabetes-Therapie auszurichten, vor allem die Ernährung war von ständigen Verboten und Verzicht geprägt. Der Wissensstand über diese chronische Erkrankung war damals auch bei Ärzten auf dem Land noch nicht sehr hoch, so war für mich die Selbsthilfegruppe ein wichtiger Anlaufpunkt um meinen Weg mit dem Diabetes zu finden. Dank moderner Medikamente und technischer Hilfsmittel kann die Therapie heutzutage den individuellen Lebensumständen angepasst werden. Das ist eine enorme Verbesserung der Lebensqualität für Betroffene.“
Gebot zur Wissensbildung
Jedoch bedeutet die Möglichkeit der individuellen Diabetes-Therapie besonders viel Auseinandersetzung mit der Erkrankung. Denn nur wenn ich mich auskenne, ich gut informiert bin über Möglichkeiten der Einflussnahme auf meine persönliche Therapie, und ich mich sorgfältig beobachte, kann ich gemeinsam mit dem behandelnden Arzt die bestmögliche Therapie für mich herausfinden.
Empowerment ist die Befähigung Betroffener, Möglichkeiten zu erkennen und Ressourcen zu nutzen. Gut informiert zu sein und Eigenverantwortung zu übernehmen hilft dabei, die Lebensqualität trotz chronischer Erkrankung wesentlich zu verbessern und die leidvollen Folgeerkrankungen wie Erblindung, Amputationen, Nierenleiden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu vermindern oder sogar zu vermeiden.
Kompetenz der Betroffenen
Erfahrungsaustausch über Lebensstiländerungen, Therapieerfahrungen, individuelle Problematiken bei Menschen mit Diabetes, Tipps und Fragestellungen für Arztgespräche, Diabetes-Schulungen etc. – kurz: die Vermittlung von Betroffenenkompetenz in enger Zusammenarbeit mit Diabetes-ExpertInnen ist eine tragende Säule im heutigen Gesundheitssystem.
Überfüllte Arztpraxen und klinische Ambulanzen, nur wenige Diabetes-SpezialistInnen im ländlichen Raum machen die Selbsthilfe-Arbeit immer unverzichtbarer. Oft fehlt in unserem System einfach die Zeit, auf individuelle Bedürfnisse und/oder Problematiken einzugehen. Hier greift die Selbsthilfe mit Erfahrungswerten in allen Altersgruppen! Während sich die ältere Generation gern zu gemeinsamen Aktivitäten, wie Wanderungen oder zum Café-Besuch treffen, tauschen sich die Jüngeren eher über’s Internet auf Facebook, Twitter oder Blogs aus. Alles darf – nichts muss!
Qualität der Begegnung
Leider wird die Selbsthilfe gerade bei der schnellen und unverbindlichen Informationsbeschaffung im World Wide Web oft unterschätzt. Individuelle Beratung und persönliche Zuwendung kann das Internet im Gegensatz zur Selbsthilfegruppe eben nicht bieten. Seit Jahrzehnten kämpfen Selbsthilfeorganisationen in Österreich um die Anerkennung der Selbsthilfe als vollwertige Ergänzung des Gesundheitssystems in Politik, Sozial- und Gesundheitswesen sowie besonders um die Basisfinanzierung der Selbsthilfe.
Bisher ist Selbsthilfe angewiesen auf Subventionen und Spenden. Wobei Subventionen von Bund und Land immer weiteren Kürzungen unterliegen und Spenden für Menschen mit Diabetes so gut wie gar nicht lukriert werden können, da deren Image in der Gesellschaft nach wie vor schlecht ist. Weitläufig herrscht immer noch die Meinung vor, der Diabetiker sei selber Schuld an seiner Erkrankung …
Anerkennung der Leistung
Hier wird die Diskrepanz deutlich, zwischen dem tatsächlichen Bedarf der Selbsthilfearbeit bei stetig steigender Zahl von Neuerkrankungen – vor allem bei Kindern und Jugendlichen – und der Akzeptanz und Anerkennung des ehrenamtlichen Engagements der Selbsthilfe in Gesellschaft und Politik. Selbsthilfeorganisationen wie die ÖDV setzen sich nicht nur für die kontinuierliche Information und Schulung von Menschen mit Diabetes ein, sondern vertreten die Interessen dieser Menschen bei den oben genannten Institutionen. Für die Einführung der einheitlichen Abgabemengen von Blutzucker-Messtreifen in allen Bundesländern hat die Selbsthilfe beispielsweise jahrelang gekämpft.
„Mir als Vorsitzende der Österreichischen Diabetikervereinigung ist es deshalb sehr wichtig, immer weiter und wieder darauf aufmerksam zu machen, wie sehr die Selbsthilfe zur kontinuierlichen Betreuung und Motivation von Betroffenen beiträgt und wie wenig die Selbsthilfe dabei in politische Entscheidungsprozesse eingebunden und finanziell abgesichert wird.“
Die ÖDV leistet wertvolle Beratungsarbeit
Die ÖDV organisiert bundesweit Gruppentreffen sowie Informations- und Schulungsveranstaltungen für Menschen mit Diabetes und deren Angehörige. Das Ziel ist, durch kontinuierliche Schulung und Information die Lebensqualität Betroffener zu verbessern sowie die leidvollen und kostenintensiven Folgeerkrankungen zu vermeiden.
Angebote der ÖDV:
- Österreichischer Diabetestag (Patienten-Informationstag 1 x jährlich)
- Info-Tage in den Bundesländern
- Familienschulungen
- 14-tägiges Schulungs- und Erholungscamp für Kinder mit Diabetes (8–12 Jahre)
- 7-tägiges Diabetes-Update für Jugendliche (13–18 Jahre)
- Skiwochen
- Insulinpumpen-Tage
- Individuelle Beratung in den Servicestellen
- Diabetes-Nanny und Mobile Beratung
- Diabetes-Magazin MEIN LEBEN (4 x jährlich)
Für ÖDV-Mitglieder sind viele Angebote entweder kostenlos oder vergünstigt.
Weitere Informationen unter: www.diabetes.or.at