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Diabetes

Stigma durch Diabetes

Photo: Privat

Lea Raak (Insulea)

Bloggerin

Diabetes begleitet die Bloggerin Insulea seit sie 17 ist. Dabei hat sie auch einige unpassende Kommentare über sich ergehen lassen müssen. Wie sie damit umgeht und was sie daraus gelernt hat, fasst sie im Interview zusammen.

Wenn man über Diabetes spricht, kommt man nicht am Thema Entstigmatisierung vorbei. Wie hast du das Stigma persönlich erlebt?


Da ich meine Insulinpumpe und meinen Sensor meist recht prominent am Arm oder Bein trage (und im Sommer am Bauch), werde ich natürlich auch oft darauf angesprochen. Ich kläre gern über Diabetes auf, aber regelmäßig kommen da Antworten zurück wie „Was? Du hast Diabetes? Aber du bist ja gar nicht dick“, „Mein Opa hatte auch Diabetes und ihm musste ein Bein amputiert werden“, „Wow, also ich könnte mich ja nie selbst spritzen“ oder „Immerhin ist es nur Diabetes und nichts Schlimmeres. Damit kann man ja heutzutage gut leben“. Während die ersten Kommentare ableistisch sind und einfach nicht zu Ende gedacht oder eben durch fehlendes Wissen und Aufklärung geschehen, stört mich der letzte Satz sehr. Es sei ja „nur Diabetes“. Damit zu leben, sei in Zeiten von Pumpe und Sensor doch total einfach. Es stimmt, dass ich heutzutage mehr Möglichkeiten habe, um meine Werte im Zielbereich zu halten, es ist dennoch harte Arbeit und erfordert gute Planung. Es sind viele kleine Entscheidungen jeden Tag, da es so viele Dinge gibt, die den Blutzucker beziehungsweise die Insulinsensitivität beeinflussen können. Neben dem Essen sind es zum Beispiel auch Hormone, sportliche Aktivitäten (und dazu gehört schon spazieren gehen) oder wie viel Schlaf ich bekommen habe. Jeder Tag ist anders. Diese vielen Extraentscheidungen jeden Tag können viel Energie rauben und sind eine tägliche mentale Belastung, die Menschen ohne Diabetes einfach nicht haben. Wir übernehmen 24/7 die Aufgabe eines Organs. Es ist ein Vollzeitjob ohne Pausen. Klar kann ich damit meistens gut leben, aber es ist eine Mehrbelastung. Ich möchte, dass das mehr anerkannt wird. 

Typ-1-Diabetes – wie ist dein Fazit? Du bist ja jetzt seit gut zehn Jahren „Teil des Klubs“, und was man so in deinem Blog liest, war das keine einfache Reise. Was waren die wichtigsten Lektionen, die du gelernt hast?


Ich wurde damals während meines Highschool-Aufenthalts in den USA diagnostiziert, da war ich gerade 17 geworden. Drei Monate und eine Falschdiagnose hat es gedauert. Mein Körper war so entkräftet, dass ich nicht mal mehr im Stehen duschen oder mehr als ein paar Meter laufen konnte. Durch diese psychische Belastung habe ich ein Trauma erlitten und musste die nächsten Jahre meines Lebens nicht nur den neuen Diabetes managen, sondern auch Angststörungen und Depressionen. Es war eine harte Zeit, in der andere Menschen in meinem Alter unbeschwert Partys feiern, sich verlieben und ausprobieren konnten. Oft fühlt es sich so an, dass mir diese Jahre gestohlen wurden – aber ich habe auch viel gelernt und wäre ohne diese Erlebnisse nicht der Mensch, der ich heute gerne bin.
Ich denke, die wichtigste Lektion ist es, sich nicht mit anderen Menschen zu vergleichen, denn wie wir auch an meinem Beispiel sehen, gibt es viele unterschiedliche Diagnosestorys und Lebensrealitäten. Vor allem im Hinblick auf die Zeit im Zielbereich, Insulinsensitivität und Insulinverbrauch sind Körper einfach unterschiedlich, und sich aneinander zu messen, führt nur zu Frustration. Ein weiterer Punkt ist dabei, dass es eben auch Tage gibt, an denen das Diabetesmanagement überhaupt nicht so läuft, wie man es gern hätte. Solche Tage haben alle und es ist normal. Es ist immer leicht zu sagen, dass man sich davon nicht unterkriegen lassen sollte, aber ich versuche dennoch immer, so gut es eben geht, diese Tage zu akzeptieren und mich nicht darüber zu ärgern.

Was empfiehlst du neu diagnostizierten Typ-1-Diabetikern? Was hat dir damals geholfen, was hat gefehlt?

Am Anfang sind die Diagnose und eine gewisse Anpassung an das neue Leben mit chronischer Erkrankung überwältigend. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass all das jemals Alltag für mich werden könnte. Aber es hat nicht lange gedauert, bis ich zum Beispiel mein Essen nicht mehr abwiegen musste und trotzdem wusste, wie viele Einheiten Insulin ich für Gerichte spritzen muss. Es war nach einigen Wochen total normal für mich, ständig Blutzucker zu messen und mich mit dem Insulinpen zu spritzen. Meine Empfehlung hier ist auch, sein Umfeld an die Hand zu nehmen und ein wenig zu schulen. Ich habe damals in der Schule immer öffentlich Insulin abgegeben und meinen Blutzucker gemessen. Klar kamen dann mal Kommentare, aber meine Freundinnen und Freunde haben mich immer sofort verteidigt. Ich stelle es mir einfacher vor, mit der Erkrankung gleich von Anfang an offen umzugehen. So können nervige Stereotype und Stigmen gleich verabschiedet werden.
Wirklich gut geholfen hat mir damals wie auch heute der Austausch mit der Diabetes-Community online. Damals waren es eine Gruppe bei Facebook, der ich beigetreten bin, und eine Handvoll Blogs über das Leben mit Diabetes. Mittlerweile bin ich weltweit mit Menschen vernetzt, die wie ich Diabetes Typ 1 haben, und ich liebe es, wie wir voneinander lernen und uns gegenzeitig empowern können

Abschließend noch etwas Positives: Was wünschst du dir für Post-Corona?

Ich wünsche mir, dass ich meine Freundinnen und Freunde aus aller Welt wieder persönlich sehen beziehungsweise besuchen kann, und ich freue mich darauf, nach meinem Masterabschluss ins Berufsleben zu starten. Außerdem plane ich gerade ein Projekt im Diabetesbereich, welches ich bald in die Tat umsetzen werde!

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