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Kardiovaskuläre Gesundheit

Gentherapie in der Hämophilie: Ich bin „geheilt“

In Kooperation mit
Foto: Cassi Josh via Unsplash
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Lukas Zahrer

Lukas Zahrer

Vorstandsmitglied der Österreichischen Hämophilie Gesellschaft, der Interessenvertretung für Menschen mit Blutgerinnungsstörungen.

Trotz einer guten Behandlung kommt es bei Hämophilie-Patient:innen zu chronischen Beschwerden. Eine neue Therapieform könnte dies nachhaltig ändern.

Der große Traum von Hämophilie-Patient:innen besteht aus einer Spritze – aus einer ganz besonderen Injektion, die für das restliche Leben ausreichen soll. Sie träumen von einer einmaligen Behandlung, die Sorgen auslöscht und Ängste nimmt. Diese Spritze steht für einen konkreten Wunschgedanken: Ich bin geheilt.

Bei der schweren Form von Hämophilie gerinnt das Blut nicht. Ein Gerinnungsfaktor fehlt, weshalb sich etwa eine Schnittwunde weitaus langsamer schließt als bei einem gesunden Menschen. Noch weitaus gefährlicher als Schnittwunden können innere Blutungen sein: ein Umknöcheln im Tanzkurs und schon schwillt das Sprunggelenk an; ein Sturz beim Radfahren und das Knie bläht sich auf. Wirklich fatal können Kopfverletzungen werden, wenn eine Blutung im Gehirn entsteht und immer weiter zunimmt.

Menschen mit Hämophilie sind nicht ungeschickter als andere. Diesem Stigma begegnen Patient:innen häufig im jungen Alter. Dem einen wird in der Schule der Turnunterricht verwehrt, die andere findet überhaupt nur schwer einen Platz in einem Kindergarten. Wir sagen gerne: Hämophile Menschen sind nicht krank, sie sollten nur etwas vorsichtiger sein.

Denn Hämophilie lässt sich therapieren. Jenen Gerinnungsfaktor, der im Blut fehlt, spritzen sich die Patient:innen intravenös. Danach arbeitet der Körper wie beim gesunden Menschen. Das Problem: Dieser Zustand hält nicht lange. Der gespritzte Gerinnungsfaktor baut sich wieder ab, und zwar sehr schnell. Manche Patient:innen erreichen schon nach nicht einmal zwei Tagen einen kritischen Bereich, in dem kaum noch Faktor übrig ist. Es braucht also die nächste Spritze, erst dann ist der Faktorlevel wieder „aufgeladen“.

Es sind genau jene Phasen mit niedrigen Faktorwerten – dem sogenannten Talspiegel – die gefährlich sind. Dann können Blutungen auftreten. Das heißt, selbst wenn sich Patient:innen strikt an die Vorgaben zur Selbstbehandlung halten, können chronische Entzündungen in den Gelenken entstehen. Im schlimmsten Fall entsteht auf Dauer schmerzhafte Arthrose.

Rezept einschleusen

Nun soll eine spezielle Spritze helfen: die Gentherapie. Forscher:innen arbeiten bereits seit vielen Jahren an dieser Revolution in der Hämophiliebehandlung. Die Gentherapie soll über eine lange Zeitdauer für höhere Faktorspiegel sorgen. Der Grund zur Blutungsneigung wäre damit zumindest entschärft, wenn nicht sogar komplett eliminiert.

Hämophilie ist eine Erbkrankheit. Ein fehlerhaftes Gen sorgt dafür, dass der Gerinnungsfaktor VIII (bei der Hämophilie A) oder der Gerinnungsfaktor IX (bei der Hämophilie B) nicht ausreichend von der Leber produziert werden. Der Gendefekt liegt im X-Chromosom, die Vererbung erfolgt rezessiv. Das bedeutet, dass meistens Männer von der Hämophilie betroffen sind. Bei Frauen wird der Gendefekt durch das zweite, gesunde X-Chromosom ausgemerzt. Selten aber doch kann es auch bei ihnen zu einer erhöhten Blutungsneigung kommen.

In der Gentherapie wird der genetische Defekt von Hämophilie-Patient:innen durch ein gesundes Gen repariert. Hüllen von inaktivierten Viren fungieren als Transportmittel, sie verpacken die gewünschte Erbinformation. Diese Pakete werden injiziert und im Körper schlängeln sie sich in die Leber, wo die gewünschte DNA in das Erbgut der Zellen eingebaut wird. Die Virenhüllen werden danach wieder abgebaut – gleichzeitig produziert die Leber ab sofort wieder den fehlenden Gerinnungsfaktor, weil sie nun das „Rezept“ für dessen Herstellung kennt.

Gute Studiendaten

Hämophilie eignet sich laut Fachleuten ideal für eine Gentherapie, denn nur ein einziges Gen muss ersetzt werden. Und schon ein kleiner Anstieg an Faktoraktivität hilft den Patient:innen. Doch es gibt auch Herausforderungen. Denn auch wenn es sich so anfühlen mag, nach einer Gentherapie sind Hämophilie-Patient:innen natürlich nicht gänzlich geheilt. Die Faktorlevel streuen stark, die Gentherapie ist noch nicht exakt vorhersehbar und außerdem ist unklar, wie lange eine Gentherapie wirkt. Leberzellen haben eine begrenzte Lebenszeit. Wenn jene Zellen, die dank der Gentherapie wieder den Faktor produzieren können, einmal absterben, geht auch die Erbinformation wieder verloren.

Doch Studiendaten zeigen: Die Blutungsraten gehen nach der Gentherapie deutlich zurück. Die Gabe von zusätzlichem Gerinnungsfaktor sinkt gegen null. Patient:innen und Angehörige sind hoffnungsvoll, sie erleben spannende Zeiten. Zahlreiche Pharmaunternehmen arbeiten an einer Marktzulassung – das heißt, es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. In Österreich ist die medizinische Versorgung gut, trotzdem gibt es einige Patient:innen mit chronischen Beschwerden. Der große Traum nach der besonderen Spritze könnte diesen Zustand nachhaltig zum besseren verändern.

Sie möchten sich weiter informieren?

Die Österreichische Hämophilie Gesellschaft vertritt die Interessen und Anliegen von Menschen mit angeborenen Blutgerinnungsstörungen in Österreich, sowie ihrer Angehörigen und ihrer medizinischen oder sozialen Betreuungspersonen.
Mehr Informationen finden Sie unter www.bluter.at .

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