Skip to main content
Home » Kardiovaskuläre Gesundheit » Gesundheit ist Herzenssache!
Kardiovaskuläre Gesundheit

Gesundheit ist Herzenssache!

Dr.med. Dilek Gürsoy Foto: Simon Erath

Dr.med. Dilek Gürsoy

Herz- & Kunstherzchirurgin

„Wir brauchen eine Alternative zur Herztransplantation, denn noch herrscht Organmangel. Moderne Kunstherzen können Leben retten und verlängern, deshalb forsche ich daran mit!“

65 Herzen wurden im Jahr 2018 in Österreich transplantiert. Am Jahresende warteten laut der Stiftung Eurotransplant 60 Patient(inn)en auf ein Spenderherz. Die Herzchirurgin, Kunstherzspezialistin und Medizinerin des Jahres 2019, Dr. med. Dilek Gürsoy, erklärt, wie Kunstherzen helfen können, die Wartezeit auf ein Spenderherz zu überbrücken.

Als Herz- und Kunstherzchirurgin sehen Sie im OP die nackte Wahrheit – was erzählt Ihnen ein Herz, wenn Sie es im geöffneten Brustkorb schlagen sehen?

Ich kann dem Herz sehr gut ansehen, wie es bislang gelebt hat. Ich sehe, ob es gesund pumpt oder ungesund vergrößert, verfärbt oder verfettet ist. 

Wann braucht ein Herz chirurgische Hilfe – und wann ist ihm nicht mehr zu helfen?

Leidet ein Patient an einer terminalen Herzinsuffizienz und sind alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft, ohne dass eine Besserung eintrat, dann ist der goldene Standard der Therapie noch immer, ein Spenderherz zu transplantieren. Handelt es sich um eine reine Linksherzinsuffizienz, dann bieten sich moderne Linksherzunterstützungssysteme an, die dem kranken Herz entweder „nur“ bis zur Transplantation eines Spenderherzens „überbrückend“ helfen, oder sogar dauerhaft. Moderne Systeme sind sehr klein und arbeiten inzwischen auch geräuschlos.

Wann implantieren Sie ein Kunstherz?

Wenn kein Spenderherz bereitsteht, können wir bei einer schwerwiegenden Insuffizienz, die die linke und die rechte Herzkammer betrifft, ein künstliches Herz implantieren, um die Wartezeit auf ein gespendetes Herz zu überbrücken – die mechanische Pumpe übernimmt die Pumpleistung des kranken Herzens komplett.

In Ihrem Buch berichteten Sie 2020, dass die Kunstherzforschung lange keine großen Fortschritte gemacht hatte. Gibt es heute Neues?

Nachdem seit seiner Entwicklung in den USA über Jahrzehnte hinweg weltweit nur ein einziges Kunstherzmodell klinisch zugelassen war, das zudem lange nur als männliches und erst sehr viel später als weibliches und jugendliches Modell ausgelegt worden war, gibt es seit Kurzem ein zweites Kunstherz mit klinischer Zulassung.

In den Forschungsabteilungen arbeiten zudem immer mehr Frauen. Ich hoffe, der Trend setzt sich fort und die Kolleginnen schaffen es auch an die OP-Tische und in die Führungspositionen in den Kliniken. 

Sie forschen selbst an neuen Kunstherzen, was treibt Sie dazu an?

Ich möchte dazu beitragen, die Technik zu verbessern, um meinen Patienten das Leben mit dem Kunstherz zu erleichtern. Aktuelle Modelle werden noch immer von außerhalb des Körpers angetrieben. Das strapaziert die Betroffenen physisch wie psychisch sehr. Sie haben die Kabel stets vor Augen und das etwa staubsaugerlaute pneumatische Klappern des batteriebetriebenen Kunstherzens stets im Ohr, während sie den gut sieben Kilogramm schweren, daran angeschlossenen Antrieb stets mit sich herumtragen müssen. 

Das möchte ich gerne ändern: Als Kunstherzchirurgin berate ich mehrere Kunstherzprojekte. Unter anderem entwickle ich ein Kunstherzmodell mit, dessen Antrieb im Körper sitzt, sodass den Patienten keine Schläuche mehr aus der Bauchdecke hängen, die auch immer ein erhebliches Infektionsrisiko bergen. Zudem soll der Antrieb geräuschfrei sein und hoffentlich fünf Jahre laufen. Damit könnten wir vielen Menschen das Leben retten und verlängern. Ich wünsche mir, dass das Weiterleben eines schwer herzkranken Menschen nicht mehr davon abhängt, dass ein anderer Mensch stirbt und sein Herz spendet.

Wie wichtig ist die Bereitschaft der Menschen, Organe zu spenden?

Immens, denn es herrscht ein Mangel an Spenderorganen. Zu viele Menschen auf der Warteliste für ein Spenderherz sterben noch immer, bevor sie eins bekommen. Wobei die österreichische Widerspruchslösung zur Organspende in meinen Augen die bessere Lösung ist: Nur wer zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen hat, ist kein Spender. Das hätte ich mir auch für Deutschland gewünscht. 

In Ihrem Buch beschreiben Sie Ihren Weg in die Herz- und Kunstherzchirurgie und die gläserne Decke, an die Sie auf dem Weg nach oben oft stießen. Sie beenden das Buch damit, dass Sie Ihr eigener Chef werden und Ihre eigene Kunstherzklinik eröffnen möchten. Wie weit sind Sie heute?

Ich habe mich auf eigene Füße gestellt, operiere und forsche – unabhängig von männlichen Vorgesetzten in Universitätskliniken mit oft wenig Verständnis für mein Ziel, ein Kunstherzzentrum in Deutschland zu eröffnen, das alle dafür nötigen Kompetenzen bündelt. Ich habe meine Privatpraxis eröffnet und bin Chefärztin der Herzchirurgie in der Clinic Bel Etage Düsseldorf. Jetzt muss ich wachsen. Aber das werde ich. 

Allein in Deutschland gibt es zweieinhalb Millionen Menschen mit einer terminalen Herzinsuffizienz, jährlich kommen etwa 300.000 neue Patienten hinzu1. Die brauchen eine modernere Herz- und Kunstherzmedizin und Spezialisten und Spezialistinnen wie mich, die jung genug sind, um zu erkennen, dass sich etwas ändern muss, und erfahren genug sind, die Veränderungen auch durchzuziehen.  

Vielen Dank, Dr. Dilek Gürsoy, für das Interview!

 1 Deutsches Bundesministerium für Bildung und Forschung (2018) 

Buchtipp:

Im September 2020 veröffentlichte Dr. med. Dilek Gürsoy mit Doreen Brumme ihr Buch „Ich stehe hier, weil ich gut bin. Allein unter Männern: Eine Herzchirurgin kämpft sich durch“. 

Next article