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Kindergesundheit

Aktiv gegen Lücken im System

In Kooperation mit:
Foto: Charles Deluvio via Unsplash
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Unvollständige Grundimmunisierungen, weniger Vorsorgeuntersuchungen und unbesetzte Kassenstellen: Univ.-Prof.in Dr.in Daniela Karall spricht über aktuelle Entwicklungen in der Kinder- und Jugendmedizin inmitten der Corona-Pandemie.

Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall

Präsidentin Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendgesundheit
Foto: Foto Hofer

Aufgrund der Corona-Pandemie sind in vielen Teilen der Gesundheitsversorgung Lücken entstanden. Wo sehen Sie diese Lücken als Kinderärztin und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde?

Es ist der Eindruck entstanden, Gesundheitseinrichtungen seien Orte, an denen man sich mit Corona ansteckt oder anstecken könnte. Das hat dazu geführt, dass ganz normale Vorsorgeuntersuchungen, wie etwa im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, deutlich seltener stattgefunden haben und dass Kinder mit Erkrankungen wie Diabetes mellitus viel später bei Ärzten vorstellig wurden. Wir sehen nun außerdem, dass die Impf-Grundimmunisierung bei einem Viertel der Kinder nicht vollständig ist.

Was bedeutet diese nicht vollständige Grundimmunisierung?

Im Moment noch nichts, aber wenn die Durchimpfungsrate beispielsweise gegen Masern unter eine Schwelle von 85 % rutscht, dann werden wir wieder vermehrt Maserninfektionen sehen. Im Sinne der Gesundheit unserer Kinder – nicht nur jetzt akut, sondern auch mit Blick in die Zukunft – ist es entscheidend, das Impfschema durchzuführen. 

Seltenere Besuche bei Ärzt:innen sind während der Pandemie zu einem großen Thema geworden – das sehen Sie nun auch im Kinder- und Jugendbereich. Was kann man tun, um dem entgegenzuwirken?

Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen ist für die Versorgung von Kindern wichtig. Kinderärzte fordern dazu auf und auch wir von der Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde laden aktiv dazu ein. Es werden von Kinderärzten weiterhin alle Untersuchungen durchgeführt – nicht nur für kranke, sondern auch für gesunde Kinder!

Gibt es in Österreich einen Mangel an Kassen-Kinderärzten?

Ja, mittlerweile können wir wirklich von einem Mangel sprechen. Wir beobachten diese Entwicklung schon seit mehreren Jahren. Viele niedergelassene Kollegen gehen in Pension und junge, nachfolgende Kinderärzte wünschen sich andere Modelle der Zusammenarbeit und Niederlassung. Anfang 2020 waren österreichweit rund
12,5 % der kassenärztlichen Stellen unbesetzt. Diese Zahl hat sich nun, Ende 2021, noch weiter verschärft – mit dem Spitzenreiter Niederösterreich, wo 32 % der Kassenstellen unbesetzt sind. Das ist sehr bedenklich! 

Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, damit sich die Attraktivität von Kassenstellen bei Kinderärzten erhöht?

Allein 24 Stunden am Tag, 356 Tage im Jahr für eine eigene Praxis verantwortlich zu sein, sagt der jungen Generation nicht mehr zu – und das finde ich auch berechtigt. Junge Kinderärzte wünschen sich andere Arbeitsmodelle sowie eine größere Durchlässigkeit zwischen dem stationären und niedergelassenen Bereich. Ein weiterer Haken ist die kassenärztliche Abrechnung. Uns Kinderärzten ist es wichtig, eine gute Grundlage für das spätere Leben zu legen. Vieles, von dem was wir tun, passiert in zeitintensiven Gesprächen, in Beratungen und in der Präventivmedizin. Der Faktor Zeit wird aber in der Abrechnung finanziell am schlechtesten abgebildet. Wir sehen hier einen Hauptgrund, warum sich viele Kinderärzte für Wahlpraxen anstatt Kassenstellen entscheiden. Für die übrigen Kinderärzte spitzt sich dadurch das Problem weiter zu, weil sich viele Eltern Wahlärzte nicht leisten können oder wollen.

Welche langfristigen Auswirkungen wird die Corona-Pandemie auf die Kinder- und Jugendgesundheit haben?

In den nächsten Monaten und Jahren müssen wir uns die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sehr genau ansehen. Ich würde mir wünschen, dass Kindergesundheit von gesellschaftspolitischer Seite als wichtiger Bereich anerkannt wird. Was wir heute in die Kindergesundheit investieren, wird in der Zukunft Früchte tragen – das wird aber weder sofort, noch in der nächsten Regierungsperiode zu sehen sein. Es ist daher umso wichtiger, dass wir eine bewusste politische Entscheidung dafür treffen, denen, die später Erwachsene sein werden, einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. 

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