Allergisches Asthma, chronische Bronchitis. Die Schulmedizin sagte ihm: unheilbar. Im Interview berichtet der Österreicher und mehrfache Weltrekordler im Freitauchen Herbert Nitsch, wie er seine Heilung selbst in die Hände nahm und gesund wurde.
Herbert Nitsch
mehrfacher Weltrekordler im Freitauchen
Ihre Krankheits- und Heilungsgeschichte spielt großteils unter Wasser. Sie sind 33-facher Weltrekordler im Freitauchen und weltweit der Mann, der dabei bislang am tiefsten tauchte (2012, Santorini, Griechenland: 253,2 m). Würden Sie uns bitte zuerst sagen, was Freitauchen ist?
Schnorcheln unter Wasser (lacht)! Beim Freitauchen oder Apnoetauchen atme ich vor dem Abtauchen ein und habe für meinen Tauchgang nur diesen einen Atemzug.
Wie haben Sie das Freitauchen für sich entdeckt?
Reiner Zufall. Auf dem Weg zu einem Tauchtrip kam mir mein Koffer mit der (Flaschen-) Tauchausrüstung abhanden. Da habe ich es ohne Ausrüstung versucht.
Und dabei haben Sie Ihre Riesenlunge entdeckt?
Nein (lacht). Ich hatte ein ganz normales Lungenvolumen von unter sieben Litern. Das ist der Durchschnitt beim Mann.
Sie hatten Asthma?
Ich litt seit Jahren an Asthma und chronischer Bronchitis. Die Schulmediziner verschrieben mir die üblichen Medikamente, zum Beispiel Kortisonsprays, die die Symptome lindern sollten.
Das reichte Ihnen aber nicht: Sie haben trotz Asthma den Sprung ins tiefe Wasser gewagt?
Ja. Ich bin nach zwei Jahren Behandlung hier in Wien in ein Stadtbad gegangen, habe komplett ausgeatmet und bin fünf Meter tief getaucht, um eine größere Wassertiefe zu simulieren (siehe Video) – wir haben hier ja keinen tiefen See in Wien! Nach dem Auftauchen spuckte ich Schleim und Flüssigkeit. Mehrere Hände voll.
Wie erklären Sie das?
Der Unterdruck löste das zähe Zeug, das bei Asthma und Bronchitis an den Zellwänden klebt. Einerseits behindert es die Atmung, anderseits ist es Nährboden für immer wiederkehrende Entzündungen
Und Sie waren fortan geheilt?
Nicht ganz. Die Bronchitis zeigte sich darauffolgend noch genau zwei Mal, jedes Mal schwächer als zuvor. Bis heute bin ich symptomfrei, seit zwei Jahrzehnten.
Würden Sie sagen, dass das Freitauchen Sie heilte?
Davon bin ich felsenfest überzeugt.
Könnten andere Betroffene mit Ihrer Methode auch erfolgreich sein?
Fragen Sie einen Mediziner, würde der jetzt vielleicht abwinken und sagen: Nein! Ich sage: Ja! Es muss ja nicht das Hochleistungsfreitauchen sein, das ich betreibe. Einfaches Schnorcheln ist sicher schon hilfreich. Am besten im Meer. Allein der Aufenthalt am Meer mit seinem salzigen Seeklima wirkt Wunder bei vielen Asthmatikern. Ich denke, jeder Kranke kann neue Wege einschlagen, keiner will und muss damit ein Leben lang krank sein.
Sie sind dem Wasser auch nach der Heilung Ihrer Lungenkrankheiten treu geblieben?
Ich genieße das Freitauchen bis heute! Ich konzentriere mich dabei aufs Wesentliche. Ich bin unter Wasser offen für alles und sehe viel. Viel mehr als mit der geräuschvollen Taucherausrüstung früher! Damit sieht man als Taucher nur die Lebewesen, die keine Angst vor dem Krach der Atemgeräusche haben. Freitauchen bedeutet dagegen: Stille. Ich bin fast Teil der Unterwasserwelt.
Wie lange können Sie so tauchen?
Länger als neun Minuten.
Wie geht das?
Mit Training.
Das dauerte sicher Jahre, oder?
Schon nach einer Woche Atemtraining zeigten sich Erfolge, die es wohl in keiner anderen Sportart gibt: Ich habe meine Leistung innerhalb dieser Zeit quasi verdoppelt …
Verdoppelt? Das müssen Sie erklären!
Mit meinen speziellen Übungen habe ich meine 7-Liter-Lunge auf 10 Liter trainiert und kann sie heute auf 15 Liter ausdehnen.
Sie geben auch Atemkurse?
Ja, im Juli zum Beispiel an der Cote d’Azur in Frankreich. Dort führe ich zwei Ein-Tages-Workshops zum Luftanhalten durch. Nähere Infos gibt’s auf meiner Website.
Und warum nehmen Sie an Wettkämpfen teil?
Ich bin Autodidakt, habe mit den Jahren meine eigenen Tauchtechniken stetig weiterentwickelt. Dabei arbeite ich mit einem wissenschaftlichen Beirat und Ärzten zusammen. Als mein Training Erfolge zeigte, wollte ich spielerisch ausloten, wo mein Limit liegt. Die Frage ist doch: Ist Limit das, was ich selbst für möglich halte – oder geht da noch mehr? Es ging immer wesentlich mehr als ich für möglich hielt, geschweige denn erwartet hatte.
Nehmen Sie uns bitte einmal mit in die Tiefe! Was empfinden Sie da unten?
Unter Wettkampfbedingungen ist alles anders: Da konzentriere ich mich nur auf mich. Meine Augen sind halb oder ganz zu. Ich blicke eher nach innen.
Ist es dort unten im Wasser nicht kalt und dunkel?
Im Meer ist es bis zu 100 Metern Tiefe eigentlich recht hell! In Seen wird es schneller dunkel.
Sind Sie aufgeregt?
Aufregung hieße Adrenalin. Das wäre kontraproduktiv, weil es mich Sauerstoff kosten würde.
Es geht also nicht um den Kick?
Nicht um den Adrenalinkick, nein (lacht).
Das heißt, Sie sind beim Tieftauchen entspannt?
Es ist eine Mischung aus Entspanntheit und auf das Wesentliche im Moment konzentriert sein.
Haben Sie Angst, Angst um Ihr Leben?
Da denke ich nicht dran. Ich konzentriere mich darauf, so wenig wie möglich Sauerstoff zu verbrauchen. Das ist die Quintessenz des Freitauchens. Ich kenne meinen Körper inzwischen sehr gut. Ich weiß um seine Interaktionen. Als Freitaucher habe ich Zusammenhänge erfahren, wie sie selten ein Mensch von seinem Körper erfährt. Außerdem bestehe ich auf hohe Sicherheitsstandards, die mir 15 Jahre lang als Pilot bei der Austrian Airlines Group eingebläut wurden.
Wie unterscheiden sich die Hinreise in und die Rückreise aus der Tiefe?
Abwärts geht es leichter. Das Hochtauchen ist harte Arbeit. Nur bei den letzten 10, 20 Metern wirkt der Auftrieb. Die meiste Strecke muss ich raufschwimmen.
Was gibt Ihnen die Tiefe?
Selbsterfahrung. Selbsterkenntnis. Stille.
Fühlen Sie sich einsam dort unten?
Ich bin unter Wasser vielleicht allein, aber nicht einsam. Selbst wenn da wer wäre, merkte ich das in meiner Konzentration kaum. Und oben wartet ja ganz sicher mein Team auf mich.
Sind Sie süchtig nach der Tiefe?
Vielleicht sehnsüchtig. Es ist eine faszinierende Welt unter Wasser. Und die meiste meiner Freitauchzeit verbringe ich ja nicht unter Wettkampfbedingungen. Da genieße ich diese Unterwasserwelt: Riffe, Höhlen, Tierwelt, Wracks – und in einem Atemzug.
Sound track: “Memories”, music by Klaus Waldeck, lyrics by Eva Schwaerzler-Engel, with kind permission of Electric Eye Musikverlag / SMV Schacht Musikverlage GmbH & Co. KG, courtesy of Dope Noir Records
Und wie erleben Sie das Auftauchen aus der Tiefe?
Ich komme zurück in die Realität. Es ist befreiend, wieder tief durchzuatmen. Obgleich ich es auch als sehr schön empfinde, eine Zeit lang nicht atmen zu müssen. Atmen ist schließlich harte Arbeit! Das Freitauchen befreite mich für eine Weile von dem Drang, überhaupt atmen zu müssen. Es dann wieder tun zu können – mit gesunder Lunge – das ist schon schön.