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Männergesundheit

Mann spricht darüber: Tabuthema Prostatakrebs

Photo: Vlad Sargu via Unsplash

Ekkehard Büchler

Mitbegründer und Vorstand der Selbsthilfe Prostatakrebs

Ekkehard Büchler ist Mitbegründer der Selbsthilfegruppe Prostatakrebs in Österreich. Ein Interview über haarsträubendes Nichtwissen, Vorschlaghammer-Diagnosen und gezielte gesundheitspolitische Forderungen.

In Österreich erkranken jährlich rund 5.000 Männer an Prostatakrebs. Auch in Europa ist Prostatakrebs eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Männern. Daher stellt sich nicht nur die Frage, warum das so ist, sondern vor allem auch, inwiefern Vorsorge eine entscheidende Rolle spielt. Wie sehen Sie das?

Die Vorsorge ist deshalb so wichtig, weil Prostatakrebs im heilbaren Anfangsstadium leider kaum Zeichen setzt. Ich selbst habe über einen Zufallsbefund die Diagnose erhalten. Ich hatte keinerlei Anzeichen und die Diagnose war damals für mich ein schwerer Schlag – quasi wie mit einem Vorschlaghammer. Aber ich habe es überlebt! Damals, im Jahr 1993, gab es auch nicht viel Wahl. Ich wollte den Krebs schnellstmöglich loswerden und der Arzt schlug eine Operation vor. Ich wurde zwar nervenschonend operiert, aber nach drei Monaten hatte ich immer noch schwere Nachwirkungen.

Das Heimtückische an der Erkrankung ist, dass Betroffene besonders in frühen Stadien quasi keine Symptome verspüren. Dennoch ist es nicht einfach, Männer flächendeckend zur Vorsorge zu bewegen. Wieso ist das so? Wissen Männer einfach zu wenig Bescheid?

Ehrlich gesagt, ja! Die Europäische Gesellschaft für Urologie hat im vergangenen Jahr eine Umfrage zum Thema Urologie in fünf verschiedenen europäischen Ländern durchgeführt. Die Ergebnisse und das Nichtwissen zu diesem Thema sind teilweise haarsträubend. Wie viele Männer doch glauben, dass auch Frauen eine Prostata haben! Auch mein Wissen war relativ begrenzt, als ich die Diagnose Prostatakrebs erhalten habe. Ich wusste zwar, dass die Prostata auf Deutsch Vorsteherdrüse heißt, dass Krebs etwas mit unkontrollierbarem Zellwachstum zu tun hat und letal sein kann. Aber das war’s. Heute, nach über 200 organisierten Vorträgen im Rahmen der Selbsthilfegruppe und vielen weiteren Veranstaltungen, an denen ich teilgenommen habe, ist mein Wissensstand natürlich ein ganz anderer. Ich kann aber nicht nur über mein persönliches Schicksal sprechen, sondern sehe das Ganze viel umfassender, weil ich mit vielen anderen betroffenen Männern gesprochen habe.

Das Ziel von Prostatakrebs-Früherkennungsmaßnahmen ist die rechtzeitige Diagnose. Welche Maßnahmen müssen nicht nur von jedem Einzelnen, sondern auch von politischer Seite getroffen werden?

Vorsorge ist sehr wichtig! Wir als Selbsthilfegruppe engagieren uns dafür, dass in Österreich die Prostatakrebsvorsorge in das Vorsorgeuntersuchungsprogramm aufgenommen wird. Das wird auch auf europäischer Ebene von unserer Dachorganisation Europa Uomo gefordert. Dieses Anliegen unterstützt im Übrigen auch die Europäische Gesellschaft für Urologie. Das ist grund- vernünftig. Denn rechtzeitig diagnostiziert, kostet ein Patient dem Gesundheitssystem sehr viel weniger, als wenn die Diagnose erst in einem vielleicht schon zu späten Stadium gestellt wird. Allein schon aus finanziellen Gründen sollte die Politik sehr daran interessiert sein, das Thema Prostatakrebsvorsorge in das allgemeine Vorsorgeprogramm aufzunehmen.

Wie kann hier zu einem Umdenken angeregt werden? Worin liegen die Schwierigkeiten aus Ihrer Sicht?

Vorsorge ist sehr wichtig! Ich appelliere wirklich an die Politik, mehr für die Prostatakrebsvorsorge zu tun. Und an die Medien appelliere ich, dass sie ehrlich darüber berichten und nicht Halbwahrheiten und Mythen weitergeben anstatt gesicherten Wissens. Es ist schlicht und ergreifend gemein, dass wir Prostatakrebspatienten still und leise erkranken und vielleicht auch daran sterben. Anderen Krebsarten wird häufig mehr Aufmerksamkeit zuteil. Viele Betroffene genieren sich auch einfach wegen ihrer Erkrankung und scheuen sich, über mögliche Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder Impotenz zu sprechen.

Das heißt, wir sprechen hier über ein wahrnehmbares Tabuthema. Welche Maßnahmen braucht es denn von gesundheitspolitischer Seite, um mehr Bewusstsein zu schaffen?

Es sind viele verschiedene Broschüren am Markt. Leider liest man auch darin immer wieder Unsinn – etwa wenn es um die Häufigkeit von Inkontinenz oder Impotenz geht. Wir als Prostatakrebsbetroffene haben seit ein paar Jahren die Möglichkeit, eine Rehabilitation in Anspruch zu nehmen.

In Deutschland wird dazu auch sexuelle Rehabilitation angeboten. Das gibt es in Österreich leider noch nicht. Zwar müssen die Patienten in Deutschland selbst für die medikamentösen Kosten aufkommen, aber immerhin kann die Partnerin mit in die Rehabilitation. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von Sexualität als menschlichem Grundbedürfnis. Davon scheint man in Österreich noch nichts gehört zu haben. Nach meiner Operation habe ich erektionsfördernde Medikamente über die Krankenkasse erhalten. Nach einer Klage müssen nun die Kosten für diese Medikamente auch noch selbst getragen werden. Wir brauchen in Österreich dringend die Möglichkeit für sexuelle Rehabilitation!

Sie leben ja selbst seit über zwei Jahrzehnten mit der Diagnose Prostatakrebs. Welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Nebenwirkungen der Therapie auf die Lebensqualität von Betroffenen?

Nach wie vor sind die zwei Hauptbehandlungsarten bei Prostatakrebs Operation und Bestrahlung. Nach Operationen treten die Nebenwirkungen sofort, am nächsten Tag, auf und bessern sich danach langsam. Im Rahmen der Bestrahlung dauert es ein bisschen, bis nach und nach immer mehr Nebenwirkungen auftreten. Aber das ist von Mann zu Mann sehr unterschiedlich. Gerade Nebenwirkungen wie Potenzstörungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Partnerschaft – nur darüber wird leider nicht wirklich gesprochen.

Die Österreichische Gesellschaft für Urologie empfiehlt Männern ab 40 Jahren, sich einmal jährlich untersuchen zu lassen. Doch die Kosten für den PSA-Test, die Laboruntersuchung zur Früherkennung, müssen derzeit zumeist selbst getragen werden. Wie sieht das in anderen Ländern aus?

In Europa ist das bunt gemischt – so wie auch in Österreich. Immerhin leben wir in einem föderalen Staat, in dem in jedem Bundesland andere Spielregeln gelten. Das ist nicht besonders klug. Es ist so unsinnig vonseiten der Gesundheitspolitik, den PSA-Test nicht immer zu bezahlen, weil die Folgekosten so viel höher sind. Heute gibt es medikamentöse Mittel, die Männern mit Prostatakrebs das Überleben sichern. Das heißt, man ist chronisch krank – aber man lebt! Diese Kosten betragen pro Mann im Jahr etwa 50.000 Euro. Aber egal worüber medizinisch gesprochen wird, es läuft immer wieder darauf hinaus, dass der Föderalismus ein Problem ist. Denn wir sind ja nicht verschiedene Männer! Oder ist der Burgenländer etwa anders gebaut als der Vorarlberger? Das ist doch lachhaft!

Vielen Menschen ist mittlerweile die Movember-Aktion, bei der sich Männer Schnurrbärte für Spenden zugunsten der Erforschung und Vorbeugung von Prostatakrebs wachsen lassen, ein Begriff. Wie nehmen Sie diese Aktion wahr? Und: Was kann und muss sonst noch getan werden?

Movember ist eine tolle Organisation, die für die Prostatakrebsforschung viel Geld sammelt. Hierzulande müssen wir nun ein besonderes Augenmerk auf die Qualitätskontrolle richten. Wird in Österreich ein Patient mit Prostatakrebs diagnostiziert, wird er anschließend im Spital behandelt. Danach wird er mit einem Arztbrief entlassen und die Nachbehandlung findet bei einem niedergelassenen Urologen statt. Und das Spital hat keine Ahnung, ob der Patient ein Jahr später überhaupt noch lebt und welche Nebenwirkungen die jeweilige Therapie hatte beziehungsweise hat. Das ist ein Problem! Denn wie sollen wir so ehrlich über Qualitätserfolge von Therapien sprechen können? In Schweden gibt es zum Beispiel ein funktionierendes Krebsregister. Warum gibt es das bei uns in Österreich nicht? Für uns Patienten ist es ganz besonders wichtig. Denn wir wollen wissen, welche Therapien zu welchen Erfolgen und zu welchen Nebenwirkungen führen.

Sie sind Mitbegründer der Selbsthilfegruppe Prostatakrebs in Österreich. Welche Angebote gibt es? Wie kann Selbsthilfe einerseits Betroffenen, aber andererseits auch Angehörigen helfen?

Durch Gespräche. Wenn ich mit einem Inkontinenzpatienten spreche und sage, dass ich selbst daran leide, dann hat das einen anderen Stellenwert. Als Selbsthilfegruppe organisieren wir einmal im Monat einen Vortrag. Zu uns kommt das „Who’s who“ der österreichischen Urologie. Die Teilnehmer können den Vortragenden ihre persönlichen Fragen stellen. Aber auch vor und nach dem Vortrag passiert etwas ganz Wichtiges: Die Männer können untereinander reden. Wir alle im Raum haben dieselben Probleme. Dadurch können wir ganz anders miteinander sprechen. Einen solchen Raum, in dem man sich austauschen kann, den gibt es sonst in dieser Form nirgends. Im Warteraum oder in der Klinik funktioniert das so nicht. Das ist unbezahlbar! Die Männer sind glücklich, dass sie bei uns etwas loswerden können. Als Selbsthilfegruppen informieren wir aber nicht nur über gesundheitliche Themen, sondern auch über soziale. So wissen zum Beispiel nur die Wenigsten, dass alleine mit der Diagnose Krebs Patienten bereits den Anspruch auf 50 Prozent Erwerbsminderung haben. Das heißt, dass Patienten damit auch kündigungsgeschützt sind.

Sie sind ja nicht nur in Österreich aktiv, sondern auch weltweit. Inwiefern vernetzen Sie sich im Rahmen der Selbsthilfe auch auf europäischer beziehungsweise internationaler Ebene?

Ich war unter anderem im Vorstand bei Europa Uomo. Das ist für mich eine sehr wichtige Organisation, weil „mein“ Krebs damit europaweit vertreten ist. Mittlerweile sind über 27 Länder bei Europa Uomo.
Wir werden monatlich mit sehr wichtigen Informationen versorgt. Diese Vernetzungen sind notwendig, um sich gut austauschen zu können. Wir kooperieren zum Beispiel mit Deutschland sehr stark. Wir wissen daher, dass der Dachverband dort von den Krankenkassen rund 850.000 Euro im Jahr erhält. Auf österreichische Verhältnisse umgelegt, wären das 85.000 Euro. Wissen Sie, wie viel wir als Selbsthilfegruppe erhalten? Einmal im Jahr 1.800 Euro von der Stadt Wien. Für unsere restlichen Kosten müssen wir uns Unterstützungen von Pharmaunternehmen organisieren. Es braucht eine breite finanzielle Unterstützung von öffentlicher Hand – nicht nur für uns, sondern für alle medizinischen Selbsthilfegruppen.

Sie haben viel aus Ihrer persönlichen Erfahrung erzählt, und ein Thema, das immer wieder sichtbar wurde, ist die Tabuisierung rund um Prostatakrebs. Was wünschen Sie sich abschließend, wie sollte in zehn, 20 oder 30 Jahren darüber gesprochen werden?

Die nächsten zehn, 20 oder 30 Jahre werde ich sicherlich nicht überleben – immerhin bin ich 79 Jahre alt. Aber ich wünsche mir für meine Nachfolger, dass mit dem Thema in erster Linie ehrlich umgegangen wird und dass dafür der notwendige Platz in den Medien verfügbar sein wird. Ich wünsche mir aber auch, dass unsere Forderung nach einer Aufnahme der Prostatakrebsuntersuchung in das Vorsorgeprogramm endlich erfüllt wird. Bitte unterstützen Sie uns dabei!

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