Mit 37 Jahren wurde bei Perpeta Multiple Sklerose diagnostiziert. Innerhalb von zwei Tagen verlor sie die Kontrolle über ihre Hände und entwickelte Sensibilitätsstörungen im Rumpf. Nach drei Wochen im Krankenhaus besserten sich zwar die Symptome im Rumpf, doch die Einschränkungen in den Händen blieben. Im Interview erzählt Perpeta, wie sie mit der Diagnose umging und welche Rolle Kunst in ihrem Alltag spielt.
Wie hast du die Diagnose erlebt?
Zur Anfangszeit dachte ich, mein Leben sei vorbei. Zu den Einschränkungen kamen Depression und sehr viel Angst. Das Negieren, Wegschauen und Verharmlosen meiner Familie waren eine große zusätzliche Belastung. Ich musste lernen, mit der MS zu leben, nicht gegen sie. Das kann man aber nur, wenn man sie annimmt.
Zum Glück standen mir eine Psychotherapeutin und zwei wirklich gute Freunde zur Seite, die mir sehr halfen, alles wahrzunehmen – die MS anzunehmen und ihr den Raum zu geben. Dies ist für mich bis heute die Königsdisziplin im Umgang mit der Erkrankung: Egal, wie unangenehm, schmerzhaft oder einschränkend – alles darf Raum bekommen. Doch ich darf nicht darin versinken.
Gerade zu Beginn bin ich in Verzweiflung, Schmerz, Trauer und Angst untergegangen. Ich hatte nicht MS – ich war sie! Das ist die große Gefahr: dass die Krankheit die Identität übernimmt.

Täglich erhält mindestens ein Mensch in Österreich die Diagnose Multiple Sklerose.
Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen mit MS und ihre Angehörigen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können.
Am 30. Mai ist Welt-MS-Tag – unterstützen Sie uns!
Ihre Spende hilft direkt dort, wo sie gebraucht wird.
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Wie fühlen sich Sensibilitätsstörungen in den Händen an?
In meiner Kindheit gab es an Kindergeburtstagen ein Spiel: mit klobigen Skihandschuhen mit Messer und Gabel essen oder mit einem Stift schreiben. Das Gefühl ist ähnlich. Zusätzlich habe ich ein Dauerprasseln in den Händen.
Welche Rolle spielt Kunst für dich im Umgang mit MS?
Ich war schon immer ein sehr kreativer Mensch, habe geschrieben, gezeichnet, gemalt, Musik gemacht. Dann bekam ich das große Geschenk, Mal- und Gestaltungstherapie machen zu dürfen, wodurch ich den Zugang zu diesen Ressourcen wiedergefunden habe.
Damit hat bei der Bewältigung dieser existenziellen Krise die Kunst eine große Rolle gespielt. Sie eröffnet mir die Möglichkeit, diffizile Gefühle zu transformieren und einen Weg aus der Starre zu finden. Durch Sound-Collagen und Bilder kann ich dem Ausdruck geben, wofür Worte fehlen. Das Unkontrollierbare in den abstrakten Arbeiten ist dabei ein Äquivalent zur Unkontrollierbarkeit der MS.
Mein Kunstschaffen ist eine Art Transformation von Schmerz, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Angst. Jedes Mal, wenn ein Werk entsteht, steigt ein Phönix auf. Meine Einschränkungen sind sehr unberechenbar – ich versuche mich ihnen anzupassen. Da ich nicht immer einen Stift oder Pinsel halten kann, habe ich mit Geldruck begonnen. Dafür kann ich auch mit Ellbogen und Faust arbeiten.
Ich habe auch schon Bilder gemacht, bei denen ich nur noch ein Schaschlik-Spießchen mit der Faust halten konnte. Falls das alles nicht funktioniert, vertone ich Textpassagen meiner tiefsten Empfindungen. Vor kurzem habe ich Improtheater ausprobiert, was nicht nur sehr Spaß macht, sondern auch ein Training ist, auf Unvorhersehbares zu reagieren, wie bei der MS. Wenn gar nichts geht, versuche ich diesem Nichts beim Meditieren Raum zu geben.
Wie erlebst du die Unterstützung durch die MS-Gesellschaft?
Die MS-Symposien liefern mir aktuelle evidenzbasierte Informationen. Dieses Wissen ist für mich ein wertvolles Tool für selbstbestimmtes Agieren. In Phasen besonderer Herausforderung sind Psychotherapie und Sozialberatung Rettungsbojen. Für Kunstschaffende eröffnete die Ausstellung #sichtbarmachen einen Raum, sich außerhalb der Erkrankung zu zeigen und gesehen zu werden – mit und trotz MS!