Bis zu 80 % der Frauen haben mindestens einmal im Leben einen Harnwegsinfekt (umgangssprachlich: Blasenentzündung). Bei fast jeder zweiten Frau tritt diese Entzündung der Harnwege erneut auf*. Im Interview erklärt der in Wien niedergelassene Urologe Dr. Christophe Eidler, worauf es bei der Diagnose und Behandlung von Harnwegsinfektionen ankommt.

Dr. Christophe Eidler
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Niedergelassener Urologe, Wien
Was bedeutet ein Harnwegsinfekt für Frauen?
Ein Harnwegsinfekt zeigt sich durch Schmerzen und/oder Brennen beim Wasserlassen und häufigen Harndrang. Mitunter ist Blut im Harn zu sehen. Diese Symptome sind sehr leicht bis sehr stark.
Warum sind Frauen häufig(er) betroffen als Männer?
Dass Frauen um ein Vielfaches häufiger Harnwegsinfekte erleiden als Männer liegt an der unterschiedlichen Anatomie: Hauptsächlich werden Harnwegsinfekte von Darmbakterien verursacht. Sie geraden rasch in die Harnblase und verursachen dort Entzündungen. Bei Frauen ist der Weg für die Bakterien leichter als bei Männern. Die mechanische Barriere ist bei Frauen wesentlich schwächer ausgeprägt als bei Männern. Beides macht es Bakterien leichter, in die Harnröhre einzudringen und in die Harnwege aufzusteigen.
Warum kehren Harnwegsinfekte bei manchen Frauen immer wieder zurück?
In erster Linie sind wiederkehrende Infekte den oben genannten Ursachen geschuldet. Es gibt natürlich auch zusätzliche Faktoren wie Nierensteine, Störungen der Blasenentleerung und anatomische Anomalien, die das Auftreten von Harnwegsinfekten beeinflussten.
Ab wann sind Harnwegsinfekte chronisch?
Bis zu maximal zwei Infekte in sechs Monaten beziehungsweise drei im Jahr gelten bei Frauen als normal. Bei einem häufigeren Vorkommen spricht man von chronisch.
Welche Rolle spielen die Lebensumstände für die Anfälligkeit?
In Abhängigkeit von der hormonellen Lebenslage der Frauen lassen sich Gruppen mit höherer Anfälligkeit ausmachen, beispielsweise Schwangere oder Frauen in den Wechseljahren.
Wie groß ist die psychische Belastung für die Betroffenen?
Je nach Schwere der Beschwerden und Häufigkeit der Harnwegsinfekte belasten diese die Frauen unterschiedlich. So leiden beispielsweise Frauen, bei denen eine sogenannte Honeymoon-Zystitis auftritt, oft besonders, da es ausschließlich zu Blasenentzündungen nach dem Geschlechtsverkehr kommt. Das ist eine Blasenentzündung, die sexuell aktive Frauen oder Frauen trifft, die nach längerer Pause wieder Sex haben. Die zugehörigen Beschwerden belasten das Wohlgefühl und das Sexualleben – und damit auch die Beziehung zur:m Sexpartner:in.
Wann sollte frau mit Harnwegsinfekt ärztlichen Rat einholen?
Nicht jeder Harnwegsinfekt muss ärztlich behandelt werden. Sind Schmerzen oder Harndrang stark, dauern sie ungewöhnlich lang an oder ist Blut im Urin, ist eine ärztliche Untersuchung unumgänglich. Ich rate, insbesondere bei einem wiederkehrenden Infekt, den Urin nicht nur per Streifen zu testen, sondern auch eine Harnkultur anlegen zu lassen, um dem Keim dahinter auf die Spur zu kommen. Denn die verschiedenen Bakterien reagieren unterschiedlich auf die Behandlung. Kennt man den Keim, ist die Wahl der Behandlung treffsicherer.
Wie behandeln Sie Harnwegsinfekte?
Da die meisten Harnwegsinfekte bakteriell verursacht sind, wird bei schwereren Infekten ein Antibiotikum verschrieben. Das sollte nach Vorschrift genommen werden, um den Infekt gründlich zu kurieren. Die Beschwerden sollten dabei nach zwei, drei Tagen spürbar nachlassen und schließlich ganz verschwinden. Andernfalls ist ein zweiter Gang in die Praxis erforderlich.
Welche Risiken birgt ein unbehandelter Harnwegsinfekt?
Steigt die Entzündung von den unteren Harnwegen (Harnröhre und Blase) in die oberen (Harnleiter und Nieren), kann es zu einer Nierenbeckenentzündung kommen. Das ist eine schwere Erkrankung, die mit hohem Fieber und Abgeschlagenheit einhergeht und in der Regel stationär behandelt werden muss, da Betroffene Infusionen brauchen.
Kann frau einem Harnwegsinfekt vorbeugen?
Das Ziel der Behandlung chronischer Harnwegsinfekte ist, die Frequenz ihrer Auftritte zu senken. Das gelingt auch vorbeugend mit Impfungen, die geschluckt oder gespritzt werden. Die Impfstoffe stärken die körpereigene Abwehr. Schlagen Antibiotika kaum bis gar nicht an, kann eine Blaseninstillation helfen: Dabei wird Hyaluronsäure in die Blase eingebracht, um deren schützende Schleimhaut zu stärken.
Pflanzliche Mittel, die es rezeptfrei in der Apotheke gibt, wirken oft auch gut gegen unkomplizierte Harnwegsinfekte. Bewährt haben sich zudem Probiotika, die geschluckt werden, um die guten Bakterien im eigenen Darm zu fördern. Und bestimmte Einfachzucker können verhindern, dass sich schädliche Darmkeime an der Schleimhaut der Harnwege heften und vermehren.
Frauen in der Menopause haben einen niedrigeren Östrogenspiegel, der zu trockenen Schleimhäuten führt – auch in den Harnwegen. Das macht diese anfälliger für bakterielle Infekte. Dagegen helfen lokal aufgebrachte Mittel, die Östrogen enthalten.
Und bei einer Honeymoon-Zystitis hilft es, zeitnah zum Sex einmalig ein Antibiotikum zu schlucken (One-Shot-Einnahme).
Gibt es auch Hausmittel gegen Harnwegsinfekte?
Bei chronischen Harnwegsinfekten spüren die Frauen mit der Zeit recht früh, dass ein erneuter Infekt kommt. Neben den schon erwähnten pflanzlichen Mitteln hilft dann mitunter auch, viel zu trinken, um die Keimlast zu reduzieren. Auch eine gezielte Ansäuerung des Harns ist ein bewährtes Hausmittel: zB. ein Teelöffel Essig in Wasser.
*https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2213716521002599