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Kindergesundheit

Einnässen: Entmystifizieren und im Team behandeln

Foto: Annie Spratt via Unsplash

Nichtorganische (funktionelle) Harninkontinenz im Schlaf bei Kindern ist nach wie vor ein Tabuthema. Nur etwa ein Drittel der betroffenen Kinder erhält professionelle Hilfe, erklärt Kinderurologin Ursula Tonnhofer.

Dr. Ursula Tonnhofer FEAPU

FÄ für Kinderchirurgie und Kinderurologie
OÄ an der Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie AKH Wien, Medizinuniversität Wien
kinderurologin.at
Foto: Silberfoto, Silke Bernhardt

Wann wird nächtliche Inkontinenz bei Kindern zum Krankheitsbild?

Die Kontinenzentwicklung ist erst im Alter von etwa fünf Jahren abgeschlossen. Liegen keine organischen Ursachen vor, spricht man bei während des Schlafs – auch des Mittagsschlafs – auftretender Harninkontinenz von Enuresis. Als Störung bezeichnen wir diese, wenn sie über einen Zeitraum von drei Monaten mindestens einmal pro Monat auftritt. Dabei unterscheidet man vier Formen der Enuresis. Tritt die Enuresis zum ersten Mal auf, handelt es sich um eine primäre; gab es bereits einen trockenen Zeitraum von sechs Monaten, um eine sekundäre Enuresis. Liegen Symptome einer Blasendysfunktion vor, spricht man von einer nicht monosymptomatischen Enuresis; sind diese nicht vorhanden, von einer monosymptomatischen.

Wie häufig ist Enuresis?

Im Alter von sieben Jahren ist in etwa jedes zehnte Kind davon betroffen. Buben sind allgemein häufiger betroffen als Mädchen. Die primäre monosymptomatische Enuresis ist dabei am häufigsten. Mädchen leiden dagegen häufiger unter einer gemischten Enuresis mit auch tagsüber auftretender Inkontinenz. Mittlerweile wissen wir, dass es auch eine familiäre Komponente gibt. Wenn die Eltern selbst eingenässt haben, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ebenfalls davon betroffen ist – bei einem Elternteil auf 44, bei beiden auf
70 Prozent. 

An wen kann ich mich wenden, wenn ich feststelle, dass mein Kind einnässt?

Erste Anlaufstelle sollte die Kinderfachärztin oder der Kinderfacharzt sein. Allgemein überwiegen Störungen ohne anatomischen oder neurologischen Hintergrund. Mit einem gut geführten Miktionsprotokoll lassen sich daher bereits viele Fälle abklären. Dabei werden sowohl die Menge und der Zeitpunkt von Flüssigkeitszufuhr als auch von Harnmenge dokumentiert. Das ermöglicht, ungünstige Verhaltensmuster zu identifizieren und entsprechende Änderungen vorzunehmen: etwa zwei Stunden vor dem Schlafengehen keine große Mengen Flüssigkeit zu sich zu nehmen und noch einmal auf die Toilette zu gehen. Jeder Fall wird individuell und bedarfsorientiert diagnostisch abgeklärt. Bei der Therapie stützt man sich im Wesentlichen auf die Verhaltenstherapie, also die gezielte Veränderung des Trink- und Miktionsverhaltens, auf den Weckalarm, der das Kind bei Harnverlust mit Hilfe von Ton oder Vibration weckt und auf die Gabe von Hormonen zur nächtlichen Reduktion der Harnmenge. Im Fall einer zu kleinen Blase stellt die Behandlung dieser die vierte Therapiesäule dar. Zudem ist es notwendig, Begleiterscheinungen wie Einnässen während des Tags oder Verstopfung zuerst zu behandeln. Bei Kindern, die an psychischen Störungen – wie etwa ADHS – leiden, müssen auch diese therapiert werden.

Was würden Sie Eltern betroffener Kinder raten?

Nur als Team lässt sich das Einnässen erfolgreich behandeln. Weder das Kind, noch die Ärztin oder der Arzt oder die Eltern können das allein lösen. Sprechen sie offen mit ihrem Kind darüber und suchen sie gemeinsam nach Lösungen, um weiterhin ein intaktes Sozialleben – mit Auswärts-Übernachtungen oder Klassenfahrten – zu ermöglichen. Oft ist es nämlich so, dass psychologische Probleme erst als Folge und nicht als Ursache einer Enuresis auftreten. Ich würde deshalb auch davon abraten, das Problem zu stark zu psychologisieren. Ich weiß, dass viele Eltern auch gern auf alternativmedizinische Angebote zurückgreifen. Dabei ist aber unbedingt darauf zu achten, dass diese in Ergänzung mit der verordneten Therapie erfolgen. 

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