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Kindergesundheit

Wie erkenne ich, dass mein Kind eine Brille braucht?

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Kurzsichtigkeit bei Kindern ist ein weltweit zunehmendes Problem. Verschiedene Faktoren haben darauf einen Einfluss, nicht zuletzt aber die vermehrte Zeit, die Kinder vor Bildschirmen verbringen. Dr. Simader erkärt die Zusammenhänge.

DI Dr. Christian Simader

Augenarzt in Wien
Foto: ZVG

Myopie ist der Fachbegriff für die umgangssprachlich bekannte Kurzsichtigkeit. Was bedeutet sie und ab wann tritt sie auf? 

Das Auge eines Neugeborenen ist meist 16–17 Millimeter lang, das Auge eines normalsichtigen Erwachsenen misst etwa 23–24 Millimeter. Im Auge des Neugeborenen würden alle Bilder hinter der Netzhaut abgebildet werden. Nur durch Akkommodation, der Naheinstellung mittels kugelförmiger Verformung der Linse, gelingt es dem Neugeborenen, auch ferne Bilder auf der Netzhaut scharf abzubilden. Wächst das Auge des Kindes nun zu schnell, werden bei einer Augenlänge von über 24 Millimetern entfernte Bilder immer vor der Netzhaut abgebildet und können nur mittels optischer Hilfsmittel, z. B. einer Brille oder Kontaktlinse, wieder scharf auf die Netzhaut projiziert werden.

Bei Kurzsichtigen liegt das gesundheitliche Problem nicht nur darin, in der Ferne nicht scharf sehen zu können. Sie weisen darüber hinaus ein deutlich erhöhtes Risiko für viele, teils sehbedrohende, Augenerkrankungen auf: Netzhautabhebung, Erkrankungen der Netzhautmitte oder der Grüne Star sind häufige mit der Myopie assoziierte Erkrankungen.

Neben genetischen Faktoren sind vor allem Umweltfaktoren für die – auch in Europa aktuell zunehmenden – Inzidenzen der Myopie verantwortlich. Wenig Aufenthalt im Freien und regelmäßige Arbeiten, bei dem das Auge in der Nähe fokussieren muss, gelten als die wichtigsten Risikofaktoren für ein zu schnelles Augenwachstum.

Wie und ab wann kann man als Eltern erkennen, dass beim Kind eine Myopie vorliegt? Soll man das aktiv überprüfen oder bemerkt man Myopie „von alleine“?

Kurzsichtige Kinder blinzeln häufig. Das Blinzeln basiert auf demselben Effekt wie das Verkleinern der Blendenöffnung eines Objektivs: Die Tiefenschärfe wird größer und das Bild wieder schärfer. Häufige Fehler beim Abschreiben von der Tafel bis zu unerklärlichem Leistungsabfall in der Schule können ebenfalls auf eine Myopie hinweisen. Üblicherweise wird bei hellem Licht in der Ferne schärfer gesehen (höhere Tiefenschärfe durch kleinere Pupillenöffnung) als in der Dämmerung oder nachts.

Bereits vor Schuleintritt können Augenärztinnen oder -ärzte durch Bestimmungen der Fehlsichtigkeit und durch Augenlängenmessungen feststellen, ob ein erhöhtes Risiko für eine spätere Myopie vorliegt. Der Schuleintritt führt bei den meisten Kindern zu einer Änderung des Tagesablaufs: Weniger Aufenthalt im Freien und vermehrte Arbeit in der Nähe haben häufig eine Zunahme des Augenlängenwachstums zur Folge. Deshalb sind Kontrolluntersuchungen bei Augenärzt:innen in diesem Alter – insbesondere, wenn ein oder gar beide Elternteile myop sind –
besonders wichtig: Wir verfügen heute über mehrere Therapieverfahren, um die Entwicklung einer Myopie zu hemmen und daher gilt es: Je früher wir mit einer Therapie beginnen, umso größer ist der zu erwartende Erfolg der Myopiehemmung. Je geringer die Myopie im Erwachsenenalter ausfällt, umso geringer ist das Risiko möglicher späterer Komplikationen durch Myopie.

Welche Unterschiede gibt es bei Brillen? Worauf müssen Eltern achten? Und welche Neuheiten gibt es hier, wie etwa das sogenannte defokussierende Brillenglas?

Die Myopie wird mit Zerstreuungslinsen (Konkavlinsen) korrigiert. Dies kann durch Brillengläser oder Kontaktlinsen erfolgen. Entgegen früherer Meinungen ist eine Unterkorrektur zur Hemmung der Myopieprogression nicht geeignet. Es gibt sogar Hinweise, dass eine Unterkorrektur das Augenlängenwachstum fördern könnte. Neben vermehrtem Aufenthalt im Freien und hochverdünnten Atropin-Augentropfen zur Hemmung des Augenlängenwachstums haben sich in den letzten Jahren vor allem optische Verfahren etabliert. Allen Verfahren gemeinsam ist, dass sie in der Macula – dem Zentrum des schärfsten Sehens – eine Abbildung hoher Qualität ermöglichen. Währenddessen wird den vom Zentrum entfernteren Netzhautarealen, die für den Seheindruck nicht so entscheidend sind, ein leicht unscharfes Bild präsentiert, das bereits vor der Netzhaut entsteht. Mit diesen sogenannten peripher defokussierenden Kontaktlinsen können hier sehr gute Erfolge erzielt werden. Seit einem halben Jahr sind auch peripher defokussierende Brillen in Europa erhältlich. In Studien konnten damit Hemmungen der Myopieprogression von über 50 % erreicht werden. Auch Gleitsichtgläser werden gelegentlich eingesetzt. Der Effekt der Hemmung des Augenlängenwachstums dürfte hier ebenfalls auf einen leicht peripher defokussierenden Effekt zurückzuführen sein; der Therapieerfolg scheint aber geringer zu sein als bei den neueren Verfahren.

Stichwort Transition: Wie wird man erwachsen mit Myopie? Wie oft muss sie kontrolliert werden?

Myope Patient:innen müssen häufiger zu Augenärzt:innen als Normalsichtige. Einerseits ist es notwendig, die Stärke der Brillengläser in regelmäßigen Abständen auf Korrektheit zu überprüfen, andererseits gilt es, Folgeerkrankungen rechtzeitig zu erkennen und bei Bedarf zu therapieren. Abhängig vom Ausmaß der Kurzsichtigkeit und des von Augenärzt:innen ermittelten Risikos für Folgeerkrankungen werden Kontrollintervalle definiert. Bei vielen Kurzsichtigen reicht oft ein Intervall von einem Jahr, bei Myopieprogression, hoher Myopie oder klinischen Auffälligkeiten werden oft Kontrollen im Abstand von sechs Monaten, manchmal aber auch in geringeren Abständen, definiert.

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