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Neurologie

Wenn Mama oder Papa MS hat

Mutter hält Hand ihres Sohnes während sie spazieren
In Zusammenarbeit mit
Foto: Kelli McClintock via Unsplash
Mutter hält Hand ihres Sohnes während sie spazieren
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Über den Umgang mit Kindern, wenn man als Elternteil an Multipler Sklerose erkrankt ist 

Die Krankheit einer Person betrifft immer auch die ganze Familie. Das bedeutet, je nach Entwicklungsphase einer Familie wirft MS so manche Fragen für Eltern mit MS auf. Generell gilt: Krankheitsbewältigung gelingt besser, wenn Probleme und Sorgen gemeinsam als Familie besprochen werden. 

Mag. Julia Asimakis, Psychotherapeutin mit Schwerpunkt MS und Familie

Mag. Julia Asimakis

Psychotherapeutin mit Schwerpunkt MS und Familie
Foto: Privat

Mama sein mit Multipler Sklerose: Vertraute Rituale soweit wie möglich beibehalten 

Multiple Sklerose betrifft mehr Frauen als Männer, zwei Drittel der Betroffenen sind im gebärfähigen Alter. Etwa zehn Prozent der Betroffenen bekommen ihren ersten Schub rund um Schwangerschaft und Geburt. Eine Schwangerschaft bringt ohnehin schon Veränderungen mit sich und kann ambivalente Gefühle auslösen: Freude und Begeisterung, doch vielleicht auch Angst und Überforderung. Die Bindung zwischen Mutter und Kind entwickelt sich bereits in der Schwangerschaft. Fällt die Diagnose einer ernsthaften Erkrankung in diese Zeit, kann die pränatale Bindung darunter leiden – bei manchen Frauen entstehen innere Konflikte. Es können sich Zukunftsängste einstellen, u. a. in Bezug auf die Frage, ob ein Kind trotz der eigenen Erkrankung ausreichend versorgt werden kann. Zwiegespaltene Gefühle und Fantasien in Bezug auf die Schwangerschaft kommen nicht selten vor: Einerseits steht das Ungeborene für das Prinzip „Leben“, andererseits kann die Fantasie entstehen, dass die Schwangerschaft „Schuld“ für die MS gewesen sei. 

Nach der Geburt kann die Angst vor einem (erneuten) Schub viel Raum im Leben einer jungen Mutter einnehmen. Setzt dann tatsächlich einer ein, kann die physische und emotionale Verfügbarkeit eines Elternteils eingeschränkt sein. Da ein Schub einen stationären Aufenthalt notwendig machen kann und Säuglinge die Trennung von Bezugspersonen als existenzielle Bedrohung wahrnehmen, sollten Trennungen grundsätzlich soweit wie möglich vermieden bzw. auf eine minimale Dauer begrenzt werden. Für die dann notwendige Betreuung des Babys durch eine weitere Person sollte im Idealfall eine bereits vertraute zur Verfügung stehen, wobei mehrere Wechsel vermieden werden sollten. 

Bei Trennungen im Kleinkindalter ist von Betreuungspersonen darauf zu achten, gewohnte Alltagsrituale (Essen, Einschlafen, Spielen) beizubehalten, um Sicherheit und Orientierung zu vermitteln. Ebenso wichtig sind das wiederholte Durchspielen von Veränderungen des Alltags, um ein Kind darauf vorzubereiten, sowie ein offenes Gesprächsklima. Denn: Kleinkinder können besonders sensibel auf körperliche Veränderungen bei vertrauten Personen reagieren, z. B. auf körperliche Einschränkungen eines Elternteils. 

Das Bedürfnis nach Information von Kindern und Jugendlichen bei Elternteilen mit MS 

Neben dem Alltag im Kindergarten oder in der Schule sind Kinder auch mit den Herausforderungen ihrer eigenen Entwicklung konfrontiert. Erkrankt nun ein Elternteil, steht die Familie vor der zusätzlichen Aufgabe, die Krankheit im Familienverbund zu bewältigen. Leider sprechen viele Betroffene mit ihren Kindern erst dann über MS, wenn es schon zu sichtbaren körperlichen Einschränkungen kommt. Belastungen, die mit der Erkrankung einhergehen, führen darüber hinaus zu Erschöpfungszuständen, Angestrengtheit oder Gereiztheit. Kinder nehmen diese Zustände atmosphärisch wahr, können sie aber nicht zuordnen, weshalb eine offene Kommunikation umso wichtiger ist. 

Wie kann nun ein gutes Gespräch über schwierige Themen in der Familie gelingen? Um hier eine Vertrauensbasis schaffen zu können ist Gegenwärtigkeit und Klarheit wichtig. Praktisch bedeutet das: auf das Wesentliche konzentrieren; keine Ablenkungen und keine Ziele verfolgen; mit offenen Karten spielen. Das heißt, das Offenlegen folgender Aspekte ist wichtig: Was weiß ich selbst? Was weiß ich (noch) nicht? Was beschäftigt mich? Und: Welche Gedanken, Gefühle, Fantasien und Vorstellungen haben die Kinder? 

Faktenbox

1. Erkrankt ein Elternteil, zeigen sich Kinder meist von ihrer stabilsten Seite. Sie möchten ihre Sorgen und Ängste von den Eltern fernhalten. Psychische Belastungen der Kinder durch die Erkrankung eines Elternteils werden häufig unterschätzt. Gefühle der Einsamkeit, Rückzugstendenzen und Ängste können auftreten. 

2. Fehlendes Wissen kann zu subjektiver Belastung führen. Kinder wünschen sich in der Regel Informationen und Erklärungen zur Erkrankung: Wie ist es zur MS gekommen, wie wird die Erkrankung verlaufen? Die Ungewissheit des Verlaufs ist für von MS Betroffene ohnehin ein schwieriges Thema. Viele Kinder haben das Gefühl, an der Erkrankung ihrer Eltern schuld zu sein, etwas falsch gemacht zu haben und dass die Erkrankung dadurch entstanden sei. Zudem möchten Kinder bei einer Erkrankung ihrer Eltern wissen, wie sie den betroffenen Elternteil unterstützen können. 

3. Kinder sind sehr an der Behandlung interessiert: Welche Möglichkeiten gibt es, welche:r Arzt/Ärztin ist für die Erkrankung zuständig? Wie oft muss Mama oder Papa zur Untersuchung oder ins Krankenhaus? Jugendliche beschäftigen sich häufig zusätzlich mit der Frage der Vererbbarkeit: Können sie oder die Geschwister auch MS bekommen? Im Zuge des Loslösens in der Pubertät tauchen bei Jugendlichen auch folgende Fragen auf: Wieviel Verantwortung muss ich für meinen kranken Elternteil übernehmen? Darf ich meinen Freizeitaktivitäten nachgehen und Freunde treffen? Wer kümmert sich um Mama oder Papa, wenn ich ausziehe? 

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