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Harninkontinenz beim Mann – keineswegs selten, trotzdem ein Tabu

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Zehn Prozent aller Männer werden im Laufe ihres Lebens von Harninkontinenz betroffen, ab dem 60. Lebens­jahr steigt die Inkontinenzhäufigkeit deutlich an und erreicht bei 70-Jährigen knapp 30 Prozent. Die häufigste Ursache dafür ist die Dranginkontinenz.

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Univ.-Prof. Dr. med. Helmut Madersbacher

Facharzt für Urologie

Harninkontinenz (unfreiwilliger Harnabgang, im Volksmund oft als Blasenschwäche bezeichnet) beim Mann wird unterschätzt, wohl auch deshalb, weil die einschlägigen Artikel auf den unfreiwiIIigen Harnabgang nach Operationen an der Prostata fokussiert sind und damit den falschen Eindruck vermitteln, dass andere Ursachen selten sind. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.

Inkontinezformen:

Dranginkontinenz

Normalerweise ist man in der Lage, den Harndrang zu kontrollieren und so zu steuern, dass man seine Harnblase zur geeigneten Zeit, am geeigneten Ort entleert. Voraussetzung dafür sind intakte Nervenstrukturen sowie ein Gleichgewicht zwischen der Stärke jener Reize, die von der Blase, der Harnröhre und ihrer Umgebung über das Nervensystem in das Gehirn einströmen und der Fähigkeit unseres Gehirnes, diese richtig zu verarbeiten.

Die überaktive Blase ist gekennzeichnet durch einen, meist überfallsartig auftretenden, also imperativen Harndrang, der bei einem Viertel der Betroffenen zum Harnabgang vor Erreichen der Toilette sowie zu gehäuftem Harndrang untertags und/oder nachts führt. Drei Hauptursachen führen durch Störung des Gleichgewichtes zur überaktiven Blase:

  1. eine erschwerte Blasenentleerung durch eine vergrößerte Prostata, weiters Blasenentzündungen, etwa im Rahmen einer Zuckerkrankheit sowie Restharn,
  2. altersbedingte und krankhafte Prozesse in der Schaltzentrale Gehirn, wie Cerebralsklerose, M. Parkinson, Schlaganfall und Demenz, sowie
  3. altersbedingte Veränderungen der Harnblase, die diese leichter erregbar machen.

Überlaufinkontinenz

Bei 10 Prozent der Männer, insbesondere in Alten- und Pflegeheimen, besteht eine Überlaufinkontinenz. Sie entsteht durch eine gestörte Blasenentleerung entweder durch eine vergrößerte Prostata oder durch eine Blasenmuskelschwäche. Aus der übervollen Blase kommt es zu tropfenweisem Harnabgang (Überlauf).

Belastungsinkontinenz

Bei dieser Form kommt es beim Husten, Niesen, Lachen, Stiegensteigen oder Heben von Lasten zu einem unfreiwilligen Harnabgang, ohne dass Harndrang besteht. Ursache ist eine SchIießmuskelschwäche. Diese findet sich beim Mann insbesondere nach Operationen an der Prostata. Eine Harninkontinenz nach Operationen wegen gutartiger Prostatavergrößerung ist dagegen selten, sie Iiegt bei unter einem Prozent.

Nachträufeln nach der Blasenentleerung

Von der klassischen Inkontinenz zu differenzieren ist das Nachträufeln nach der Blasenentleerung (postmiktionelles Nachträufeln), das dadurch zustande kommt, dass insbesondere bei abgeschwächtem Harnstrahl Harn in der Harnröhre verbleibt und nach vermeintlich beendeter Entleerung nachrinnt (Nachträufeln, Nachurinieren).

Die Häufigkeit der verschiedenen Inkontinenzformen beim Mann verteilt sich wie folgt: Dranginkontinenz 80 Prozent, Belastungsinkontinenz und Überlaufinkontinenz je 10 Prozent.

Therapieoptionen:

bei Dranginkontinenz

An erster Stelle stehen Blasentraining und Beckenbodentraining. Medikamente, die die Blase beruhigen (Antimuskarinika), können diese Maßnahmen unterstützen. Männern, bei denen die überaktive Blase mit einer erschwerten Harnentleerung kombiniert ist, kann man die Blasenentleerung medikamentös erleichtern. Als Alternativen stehen die Injektion von Botulinumtoxin A in den Blasenmuskel und Elektrotherapie zur Verfügung.

bei Belastungsinkontinenz

Im Vordergrund steht ein Beckenbodentraining, gegebenenfalls unterstützt durch Elektrotherapie. Die gute Botschaft ist, dass sich im Laufe des ersten postoperativen Jahres Häufigkeit und Ausmaß des unfreiwilligen Harnabgangs deutlich reduzieren, die schlechte Nachricht, dass nach einem Jahr noch immer 5-10 Prozent darunter leiden und nach erfolgloser konservativer Therapie nur mehr operative Maßnahmen zur Kontinenz führen.

bei postmiktionellem Nachträufeln nach der Blasenentleerung

Erfolgreich sind Beckenbodentraining, um jene Muskeln zu stärken, die am Ende der Blasenentleerung helfen, den Harn aus der Harnröhre auszutreiben, sowie das Ausstreifen der Harnröhre durch den Betroffenen vom Damm her.

Was tun, wenn Harninkontinenz trotz aller Bemühungen weiter besteht?

In diesem Fall sind Hilfsmittel angezeigt, entweder spezielle Einlagen für Männer oder ein Kondom-Urinal mit Ableitung in ein Harnsäckchen. Der Dauerkatheter (Einlegen eines Katheters in die Harnblase) ist kein Inkontinenzhilfsmittel und sollte nur dann gelegt werden, wenn relevanter Restharn besteht. Eine gute Alternative zum Dauerkatheter ist der intermittierende (Selbst-)Katheterismus.

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