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Leben mit Beutel am Bauch

Credits: Victoria Posch

Stoma-Patientin und Autorin Rita Hofmeister klärt im Interview über Vorurteile auf, mit denen Betroffene zu kämpfen haben, und erzählt, wie sie es schafft, trotz Stoma ein befreites, unabhängiges Leben zu führen.

Rita Hofmeister

Stoma-Patientin und Autorin

Frau Hofmeister, viele Menschen können sich nichts unter einem Stoma bzw. künstlichen Darmausgang vorstellen. Wie würden Sie die Begrifflichkeiten am besten erklären und welche Vorurteile hatten Sie vor Ihrem Eingriff?

Ein künstlicher Darmausgang wird auch Stoma, Seitenausgang oder Anus Praeter genannt und ist eine durch eine Operation geschaffene Öffnung der Bauchdecke, durch die der Darm nach außen geleitet wird. Dabei gibt es aber keine technischen Vorrichtungen aus körperfremden Materialien. Der Darm wird schlicht durchtrennt und der zuführende Teil des Darms wird durch die Bauchdecke nach außen gezogen, wie ein Pulloverärmel umgeschlagen und festgenäht – sodass sich der Stuhl nach außen entleeren kann.
Ich selbst hatte früher überhaupt keine Vorstellung davon, wie so ein Stoma aus-sieht. Ich wollte mich auch gar nicht damit beschäftigen, obwohl ich schon viele Jahre vor dem tatsächlichen Eingriff wusste, dass ich eventuell ein Stoma brauchen würde. Vor meinem inneren Auge sah ich also immer nur das unkonkrete Bild einer künstlichen Vorrichtung mit Plastikschläuchen und offenen Wunden. Ich war immer davon ausgegangen, dass so ein Stoma sehr unangenehm sein und wahrscheinlich permanent Schmerzen verursachen müsse. Dieses Unwissens und die Tatsache, dass ich mich nicht mit dem Thema beschäftigen wollte, hatte viel dazu beigetragen, dass ich große Angst vor einem Stoma hatte.

Was wollen Sie jenen Menschen, die kurz vor einer Stoma-Operation stehen oder mit einer Diagnose konfrontiert sind, bei der ein Stoma eine mögliche Therapie darstellt, sagen?

Ich kann total nachvollziehen, wenn solch eine Nachricht erst einmal ein Schock ist, man Angst hat und alles andere einem Stoma vorziehen möchte. Bei mir war es anfangs genauso. Doch ich möchte allen Menschen, für die ein Stoma im Raum steht, dringend dazu raten, sich mit dem Thema auseinander-zusetzen. Mit jeder Information, jedem Bild und jedem Video ist meine Angst vor dem Ein-griff und dem Leben mit einem Stoma kleiner geworden. Genau für diese Menschen habe ich mein Buch geschrieben. Darin findet man Bilder, Links zu Videos und vor allem Antworten auf alle Fragen, die man wahrscheinlich im Kopf hat.

Die Tatsache, dass ich mich nicht mit dem Thema beschäftigen wollte, hatte viel dazu beigetragen, dass ich solche große Angst vor einem Stoma hatte.

Gibt es für Sie Schwierigkeiten im Alltag und wenn ja, wie meistern Sie diese?

Ein künstlicher Darmausgang ist zu Beginn schon eine große Veränderung und auch eine Herausforderung. Man sieht anders aus und der Bauch fühlt sich anders an, daran muss man sich schon erst einmal gewöhnen. Aber mittlerweile kann ich mir ein Leben ohne Stoma gar nicht mehr vorstellen und ich habe tatsächlich überhaupt keine Schwierigkeiten im Alltag. Ich gehe schwimmen, in die Sauna, liege in der Badewanne; und auch Intimität ist kein Problem – ich gehe nur anders auf die Toilette als andere. Die Versorgung meines Stomas klappt sehr gut, und sich darum von Anfang an selbst zu kümmern, kann ich auch nur allen neuen Stoma-Trägerinnen und
-Trägern raten. Auch wenn der Impuls da ist, diesen neuen, Stuhl produzierenden Körper-teil nicht anfassen zu wollen, sollte man das unbedingt tun. Nur wenn man sich um die Versorgung selbst kümmern kann, hat man wirklich ein befreites, unabhängiges Leben.

Wie kann man den betroffenen Personen ihre Ängste nehmen? Was hat Ihnen hier geholfen?

Ich finde es sehr wichtig, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen – schon vor der Operation, wenn man dazu die Möglichkeit hat, oder aber spätestens dann, wenn man frisch ein Stoma bekommen hat. Sich der Angst zu stellen und mitten ins Thema zu stürzen macht meiner Erfahrung nach alles leichter. Ich hätte vor meiner Operation gern ein Buch gehabt, in dem ich alle Antworten finde. Weil es keines in der Form gab, habe ich eines geschrieben. Ich kann es wirklich nur allen empfehlen, ich habe schon so viele wunderbare Rückmeldungen der Leser:innen bekommen, die sehr dankbar für meine Erfahrungsberichte und Ratschläge waren. Ich würde aber auch im Internet recherchieren – vor allem in den Social Media gibt es mittlerweile viele Menschen, die aufklären und durch ihre eigenen Beispiele Mut machen. Und es gibt auch die ILCO – die Stoma-Selbsthilfevereinigung.
Da kann man andere Stoma-Träger:innen persönlich treffen und sich austauschen.

Wie können Angehörige unterstützen?

Indem sie da sind, zuhören und sich auch selbst für den künstlichen Darmausgang interessieren. Ich halte nichts von gut gemeinten, aber oft nicht willkommenen Ratschlägen von Personen, die selbst nicht betroffen sind. Aber als Partner:in, Familienmitglied oder Freund:in eine positive Einstellung zum Stoma zu haben hilft Betroffenen ungemein. In dieser Situation, die ohnehin eine Herausforderung ist, bringt es eine:n nicht weiter, bedauert zu werden oder immer wieder von anderen zu hören, wie schlimm das alles ist. Es hilft viel mehr, wenn man als Angehörige:r Mut zuspricht und Betroffene darin bestärkt, dass sie dieser Herausforderung gewachsen sind und sie meistern werden.

Credits: Rita Hofmeister



„Gut leben mit Beutel am Bauch“ Maudrich Verlag,
erhältlich im Buchhandel


Instagram: Rita Hofmeister

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