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Dr.in Eva Schubert-Vadon ist Neurologin an der Klinik Maria Theresia am Radkersburger Hof mit Schwerpunkt auf neurologischen und orthopädischen Erkrankungen. Im Interview erklärt sie, wie sich eine patient:innenzentrierte Rehabilitation positiv auf den Verlauf einer Multiplen Sklerose (MS) auswirkt und worauf es dabei ankommt.

Dr.in Eva Schubert-Vadon
© Moritz Schubert
Neurologin an der Klinik Maria Theresia am Radkersburger Hof
Warum ist die Wahl individueller Maßnahmen zur Behandlung und Rehabilitation bei MS besonders herausfordernd?
Die Natur der Autoimmunerkrankung selbst ist die Herausforderung: Die MS ist eine Erkrankung, bei der sich das Abwehrsystem des Körpers (Immunsystem) gegen körpereigene Strukturen im zentralen Nervensystem (ZNS), also in Gehirn und Rückenmark, richtet.
Dahinter stecken chronische Entzündungen, die Nervenleitungen beeinträchtigen. Signale vom Gehirn an verschiedene Körpersysteme kommen dort deshalb nur verlangsamt oder gar nicht mehr an. Das äußert sich durch verschiedene Symptome: Muskellähmungen, Empfindungs-, Seh-, Geschmacks-, Gleichgewichts-, Blasenfunktions- und kognitive Störungen. Da die Strukturschäden im ZNS von Patient:in zu Patient:in variieren, gleicht keine MS der anderen.
Herausfordernd ist zudem, dass wir zur Diagnose der MS zwar bildgebende Verfahren einsetzen und die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) untersuchen, doch die Antwort auf die Frage, was im ZNS tatsächlich vorgeht, liegt hinter der Blut-Hirn-Schranke. Wir sind deshalb vor allem auf die Beobachtung der MS angewiesen, um von den sichtbaren und gefühlten Anzeichen auf Verlauf, Krankheitstyp und passende patient:innenkonzentrierte Maßnahmen zur Therapie und Rehabilitation zu schließen.
Worauf kommt es dabei an?
Je mehr wir über die Patient:innen und ihre Krankheitsgeschichte wissen, desto besser können wir die MS bewerten. Ich möchte Patient:innen deshalb dazu ermutigen, sich mit ihrer MS auseinanderzusetzen und mit uns Ärzt:innen offen über alles zu sprechen, was mit der Krankheit in Verbindung stehen könnte. Das detaillierte Wissen um jedwede körperliche oder gefühlte Veränderung verschafft uns bessere Chancen, den degenerativen Fortschritt der in Schüben verlaufenden MS frühzeitig zu verlangsamen. Denn wir wissen längst, dass die Degenerationsprozesse bei einer MS unterschwellig fortschreiten – also schubunabhängig stattfinden (Stichwort: „Progression Independent of Relapse Activity“, PIRA).
Was bringt die moderne MS-Rehabilitation?
Das ZNS kann MS-bedingte Strukturschäden dank seiner Neuroplastizität in gewissem Maß kompensieren (Neurorehabilitation). Es ist demnach in der Lage, neue Wege zur Signalweitergabe zu erlernen, um körperliche und kognitive Defizite bis zu einem gewissen Grad auszugleichen. Der Lernprozess lässt sich erfahrungsgemäß sehr gut in einer Rehabilitationsmaßnahme anschieben, wo interdisziplinäre Teams individuell und „hands-on“ an sowie mit MS-Patient:innen arbeiten. Eine kompakte Reha von vier Wochen wirkt bestenfalls über Monate und ist einmal im Jahr ratsam. Wobei sich ihre Wirkung verlängern lässt, wenn die Patient:innen das vermittelte Wissen auch daheim anwenden.
Die bisherige MS-Forschung hat uns nicht nur wertvolle Erkenntnisse, sondern auch immer bessere Therapien und Medikamente beschert. Während MS-Patient:innen mit einer Diagnose von vor 40 Jahren mit großer Sicherheit nicht ohne Rollstuhl auskommen, sieht das bei heute diagnostizierten Patient:innen ganz anders aus: Auch wenn die MS noch nicht heilbar ist, landen Betroffene nicht mehr zwingend im Rollstuhl. Ich habe sogar Patient:innen erlebt, die sich dank moderner MS-Medizin und Reha wieder aus dem Rollstuhl herausgearbeitet haben.